MIR

Nach den ersten großen Erfolgen in der Raumfahrt, entstanden schnell Pläne für ständig bemannte Raumstationen. Nur auf diese Weise ließen sich die ehrgeizigen und innovativen Langzeitprojekte realisieren. Die in der Erdumlaufbahn permanente Schwerelosigkeit ermöglichten Experiment, die auf der Erde so undurchführbar waren. Langzeitflüge boten erstmals die Möglichkeit, die physiologischen und psychischen Auswirkungen auf den Menschen zu studieren und zu dokumentieren. Die russische Raumstation MIR (russ. =“Frieden“, auch „Welt“) war die am längsten im Dienst stehende Raumstation zum Ende des 20. Jahrhunderts. Das Basismodul wurde am 19. Februar 1986 vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur (Kasachstan) mit einer Proton-Trägerrakete in den Orbit gebracht. Bis zu ihrem kontrollierten Absturz 2001 war die MIR die bis dahin erfolgreichste Raumstation überhaupt.

Einsatzzweck und Hintergründe

Bereits im Jahr 1973 gelang es der NASA mit SKYLAB einen ersten Vorposten der Menschheit im All zu betreiben. Die damalige Sowjetunion arbeitete zum damaligen Zeitpunkt mit dem Projekt SALUT ebenfalls an der Entwicklung einer bemannten Raumstation. Aber erst mit SALUT 6 und SALUT 7 waren längerfristige Aufenthalte der Besatzung möglich. Da die prognostizierte Nutzungsdauer von SALUT 7 im Jahre 1986 abgelaufen war, wurde die MIR als Nachfolger projektiert. Nachdem die Amerikaner mit Neil Armstrong erstmals einen Fuß auf den Mond setzten, wollte die russische Weltraumbehörde an ihre alten Erfolge anknüpfen. Eine neu, groß dimensionierte und ständig bemannte Station sollte das Prestige der sowjetischen Raumfahrt wiederherstellen. Als neues Vorzeigeprojekt wurde das Projekt und deren Details der Öffentlichkeit bereitwillig vorgestellt – eine Praxis, die man bei früheren Missionen vergeblich suchte. Perestroika und Glasnost hatten auch bei ROSKOSMOS Einzug gehalten. Die Nutzung der Station war dabei in den ersten Jahren russischen und aus den damaligen Ostblockstaaten stammenden Kosmonauten vorbehalten. Erst nach der politischen Wende wurde die MIR für westliche Raumfahrtagenturen und deren Astronauten zugänglich.

Aufbau der Station und die Missionen

Die Größe und damit die Masse der Raumstation überstieg die Leistungsfähigkeit aller bekannten Trägerraketen. Wie bei ihren Vorgängern kam nur die Modulbauweise in Betracht. Das Prinzip besteht darin, ausgehend vom zuerst gestarteten Basismodul, die anderen Komponenten nacheinander in Einzelmissionen in den Orbit zu bringen. Aktive Korrekturen von Geschwindigkeit und Höhe ermöglichen ein sanftes Andocken an das Basismodul. Diese Technik ist der begrenzten Schubkraft aller auf chemischen Reaktionen basierende Trägerraketen geschuldet und kommt auch heute noch so zum Einsatz. Das Basismodul ist das Kernstück der Station. Es diente im Wesentlichen als Aufenthalts- und Schlafbereich für die Besatzung. Weiterhin enthielt es die Lebenserhaltungssysteme, die Steuereinheit und Einrichtungen zur Kommunikation. Das Modul erstreckte sich über eine Länge von 13,30 Metern bei einem Durchmesser von 4,20 Metern und einem Gewicht von 20 Tonnen. Die Stromversorgung wurde durch seitlich angebrachte Solarzellen gewährleistet.

Da die MIR für einen langfristigen Einsatz mit den entsprechenden Forschungsmodulen ausgelegt wurde, besaß das Basismodul sechs Kopplungsstutzen. Vier waren für das Andocken vorgesehen, zwei waren für die Zubringerraumschiffe der SOJUS-Serie und einem Transportraumschiff reserviert. Während über die SOJUS-Raumschiffe der Besatzungstransfer abgewickelt wurde, übernahmen die PROGRESS-Frachter den Nachschub an Lebensmitteln und wissenschaftlichen Ausrüstungen. Aus Sicherheitsgründen verblieb stets ein SOJUS-Raumschiff angedockt am Basismodul, um die Station im Gefahrenfall rechtzeitig verlassen zu können. Eine Besonderheit war das separate „Shuttle Docking Module“. Damit konnten die Raumfähren der NASA ab dem Jahr 1995 regelmäßig und problemlos an der MIR ankoppeln. Die anderen Module waren als reine Forschungs- und Wissenschaftsmodule konzipiert. Das erste dieser Art war das 1987 gestartete KWANT und diente in erster Linie zu Forschungen in der Astrophysik. Mit dem Start des Moduls KWANT 2 zweieinhalb Jahre später fand eine Aufwertung statt. Neben einem erweiterten Forschungsspektrum im Bereich biotechnologischer Experimente und der Erderkundung konnte durch zusätzliche Solarmodule die Energieversorgung effizienter gestaltet werden.

Den Abschluss bildete das Wissenschaftsmodul KRISTALL, welches ab 1990 die beiden Module um Ausrüstungen für Forschungen im Bereich der Biologie und Materialwissenschaft ergänzte. Das Modul SPEKTR, das ab 1995 zum Einsatz kam, war vorrangig für Beobachtungen geophysikalischer Natur und dem Studium der kosmischen Strahlung vorbehalten. Mit dem Modul PRIRODA war 1996 der Ausbau der Station endgültig abgeschlossen. Experimente zur Mikrogravitation und die Erdfernerkundung waren der Zweck dieses letzten Moduls.

Nach dem Start

Bereits einen Monat nach dem Start der MIR bekam diese ihren ersten Besuch. Die beiden Kosmonauten Wladimir Solowjow und Leonid Kisim betraten am 15. März 1986 die Station, um die Betriebsbereitschaft herzustellen. Ein Novum in der Geschichte der Raumfahrt war, dass die Kosmonauten von dieser wieder abkoppelten, um zu ihrem noch funktionsfähigen Vorgänger SALUT 7 zu fliegen, dort Wartungsarbeiten erledigten und dort bereits hinterlegte Vorräte übernahmen.Von 1987 – 1989 war die Station durch sich abwechselnde Besatzungen ständig besetzt. Ein Franzose, ein Syrer und ein Afghane waren die ersten Besucher anderer Nationalität. Die folgenden zehn Jahre waren die wohl erfolgreichsten des Projekts MIR. Die Raumstation wurde turnusmäßig von immerhin 22 sowjetischen Raumschiffen, aber auch von neun amerikanischen Raumfähren angeflogen. Der erste Deutsche auf der MIR war Klaus-Dietrich Flade 1992, gefolgt von seinen Landsleuten Thomas Reiter und Ulf Merbold. Mit der nun auch für die westliche Welt offenstehenden MIR gehörten nunmehr auch Astronauten aus Japan, Großbritannien und Österreich zur Crew.

Die letzten Jahre der MIR waren von sich immer mehr häufenden Pannen begleitet. Einmal war es sich entwickelnder giftiger Rauch, ein andermal war es die Sauerstoffversorgung, die zeitweise ausfiel. Es kam zu Defekten am Lageregelungssystem und zu Problemen mit der Kommunikation zur Bodenstation. Als schließlich ein Transportraumschiff beim Andocken mit der MIR kollidierte, war das baldige Ende der Raumstation abzusehen. In ihrer Gesamtheit betrachtet war die MIR bis zu ihrem Ende ein großer Erfolg für die Raumfahrt. Die Daten sprechen für sich: Die Einsatzdauer betrug immerhin 15 Jahre, während der sie von 28 Langzeitbesatzungen bewohnt wurde. In einer Höhe von 390 Kilometern hat sie über 86.000 Erdumkreisungen vollzogen, das entspricht einer Strecke von über dreieinhalb Milliarden Kilometern. Mit einer Gesamtmasse von ca. 124 Tonnen war sie das größte und schwerste Objekt ihrer Zeit im Orbit.

Das Ende einer Ära

Mit 15 Jahren aktivem Dienst im Orbit hat die MIR die in ihr gesteckten Erwartungen und ihre ursprünglich prognostizierte Lebensdauer weit übertroffen. Doch diese lange Zeit hat ihren Spuren hinterlassen. Längst war klar geworden, dass sich die inzwischen stark reparaturbedürftige MIR nicht mehr mit den zur Verfügung stehenden Mitteln betreiben ließ. Zudem stand die Premiere der neuen Internationalen Raumstation ISS bevor. Weder für die Russen noch für die Amerikaner war es finanziell machbar, neben der zukunftsträchtigen ISS eine zweite Raumstation weiter zu betreiben. Damit waren die Tage der MIR gezählt. Das 1999 gegründete Unternehmen MirCorp mit Sitz in den Niederlanden war ein Versuch, die MIR mit kommerziell betriebenem Weltraumtourismus zu retten. Der mittlerweile schlechte Zustand der MIR machte auch diese Pläne zunichte.

So wurde schließlich beschlossen, die MIR aufzugeben und über unbewohntem Gebiet kontrolliert abstürzen zu lassen. Am Morgen des 23. März 2001 wurde mit dem Zünden des letzten angekoppelten Transportfrachters vom Typ Progress der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre eingeleitet. Dabei war man sich im Klaren, dass nicht alle Komponenten der MIR vollständig verglühen würden – eine gewisse Angst machte sich breit. Doch die MIR zeigte einen, wenn man so nennen darf, würdevollen Abgang. Genau um 06.57 Uhr stürzten 1500 Trümmerstücke mit einer Gesamtmasse von 40 Tonnen genau an der vorausberechneten Stelle in der Nähe der Fidschi-Inseln in den Ozean. Es wird nunmehr die Aufgabe der Internationalen Raumstation ISS sein, an die Erfolge anzuknüpfen, mit denen die MIR einst Weltraumgeschichte geschrieben hat.

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