Flüchtlinge

Der gegenwärtige und historische Flüchtlingsbegriff muss zunächst zur rechtlichen Einordnung qualitativ und quantitativ definiert werden und ist dann im Hinblick auf die Auslegung in verschiedenen Staaten und Systemen genauer darzustellen und zu analysieren. Die Geschichte der Menschheit ist und war immer auch zugleich eine Geschichte von Migrationsbewegungen und eine Geschichte von Flüchtlingsschicksalen. Die Lebensbedingungen und die rechtliche Situation der Betroffenen sind in den verschiedenen Aufenthaltsländern vom Asylrecht abhängig und sollten darum jeweils landesspezifisch gesondert betrachtet werden.

Genfer Flüchtlingskonvention

Die Genfer Flüchtlingskonvention definierte 1951 zum ersten Mal die rechtliche Stellung von Flüchtlingen. Als Flüchtlinge galten demnach, sofern dies wirksam begründet und nachgewiesen werden konnte, Personen, die ihr Heimatland aus Furcht vor Verfolgung verlassen mussten sowie Staatenlose, die ihren gewohnten Aufenthaltsstaat verlassen hatten. Als anerkannte Fluchtgründe galten damals und gelten noch heute Verfolgungen, die sich auf die Rasse, die Nationalität, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, auf die Religion oder die politische Überzeugung der Betroffenen beziehen. 0,9 Millionen Menschen waren 2011 weltweit als Asylsuchende registriert, 15,2 Millionen befanden sich dagegen ohne Asylverfahren auf der Flucht außerhalb ihres Heimatlandes.

Diese Fassung der ursprünglichen Konvention galt jedoch nur für Personen, die aufgrund von Ereignissen flüchten mussten, die bereits vor dem 1. Januar 1951 eingetreten waren. In einem 1967 ergänzend verfassten Protokoll wurde diese zeitliche Einschränkung aufgehoben, so dass die Konvention nunmehr umfassend für alle Staaten gilt, die die Konvention ebenso wie das Protokoll unterzeichnet haben. Alle genannten Zahlen beziehen sich auf eine Veröffentlichung des UNHCR vom Juni 2012 [Quelle: http://www.unhcr.org/4fd6f87f9.html].

Über die vergangenen zehn Jahre hinweg gibt es demnach für diese global erfassten Flüchtlingszahlen Schwankungen innerhalb eines Rahmens von rund 10 Prozent. In den Jahren zwischen 2001 und 2011 bewegt sich die Gesamtzahl aller Flüchtenden, unabhängig von den jeweiligen Fluchtursachen weltweit immer zwischen rund 37 bis hin zu etwa 43 Millionen maximal.

Erweiterte Begriffsbestimmung

Der Begriff des Flüchtlings wird demnach üblicherweise wesentlich weiter gefasst als in der Genfer Konvention: Er gilt gleichermaßen für Menschen, die aufgrund von Krieg und Terror, Klimaveränderungen, Umweltkatastrophen oder aus rein wirtschaftlichen Gründen ihre Heimatländer verlassen müssen. So wurden im Jahr 2011 26,4 Millionen Menschen als Binnenflüchtlinge im eigenen Land vertrieben oder mussten flüchten, ohne dass sie die Grenzen ihres Landes überschritten haben.

Die Gesamtzahl aller Flüchtlinge betrug nach diesen Kriterien 2011 also 42,5 Millionen [Quelle: http://www.unhcr.org/4fd6f87f9.html]. Für die meisten dieser Menschen treffen somit die Definitionen der UN-Flüchtlingskonvention nicht zu. In vielen Staaten werden sie daher nicht als Flüchtlinge anerkannt. Sie werden aufgrund von Einreisebeschränkungen der wirtschaftsstarken Industrieländer oftmals mit Hilfe organisierter Schlepper eingeschleust.

In den Staaten, in die sie geflüchtet sind, können sie sich zumeist nur als sogenannte „illegale Einwanderer“ verdingen. Viele Flüchtlinge landen somit in prekären Beschäftigungsverhältnissen ohne Versicherungsschutz, ohne Gesundheitsversorgung, ohne Zugang zu Bildung und ohne Perspektive.

Typische Lebensgeschichten und Fluchtgründe

Flüchtlinge, die in ihrer Heimat Verfolgung erleben mussten, sind in besonders hohem Maße von den psychischen und physischen Folgen betroffen. Viele haben schwere Traumata durch Gewaltanwendungen und unmenschliche Haftbedingungen erlitten, sie leiden über Jahre hinaus seelisch vor allem unter den körperlichen Spätfolgen von Hunger, Vergewaltigung und Folter oder aber auch unter posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS).

Körperlich können alle diese Verletzungen bis hin zu einer dauerhaften Erkrankung und allgemeinen Behinderung führen. Die PTBS als seelische Folge von Gewalt geht immer einher mit starken depressiven Symptomen, kann sich aber sogar mit psychotischen Episoden abwechseln.

Frauen als häufige Opfer von PTBS

Mehr als ein Drittel der Verfolgten kann Symptome der PTBS entwickeln, wobei Frauen besonders stark betroffen sind. In den Kriegsgebieten und in totalitären Systemen weltweit ist Vergewaltigung von Frauen immer noch ein gängiges Mittel, um damit auch die männlichen Angehörigen gefügig zu machen. Hinzu kommen die zahllosen Fälle, in denen Frauen flüchten, um sich aus Zwangsprostitution oder Zwangsehen zu retten, oder um ihre Töchter vor Genitalverstümmelung zu schützen.

Weltweit viele Asylsuchende

Die globalisierte Welt hat dazu geführt, dass ein großer Teil der Flüchtlinge über Kontinente hinaus Asyl sucht. Die ungleiche Verteilung von Armut und Reichtum trägt in hohem Maße mit dazu bei, dass Flüchtlingsbewegungen kontinuierlich weiter anwachsen. Da die meisten Asylgesetze sich immer noch auf die Genfer Konvention beziehen und so nicht für alle Bevölkerungsgruppen, die von Verelendung betroffen und dadurch zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen sind, greifen, erhalten diese sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge meist kein Asyl.

Gleichgültig ob Klimaveränderungen, Spekulation mit Lebensmitteln oder Überfischung der Meere den Anlass liefern, dass Menschen fliehen müssen, die wahren Fluchtursachen liegen nicht selten in einer ungerechten Verteilung von Ressourcen und Reichtum. Anstatt die rechtlichen Bedingungen der Situation anzupassen, verlegen sich die Industrienationen darauf, ihre Grenzen mit Organisationen wie Frontex oder der Border Patrol in den USA festungsmäßig abzuschotten. Die Flucht selbst ist damit umso mehr für alle Flüchtlinge, ganz gleich aus welchem Grund sie ihre Heimat verlassen haben, eine lebensgefährliche und schreckliche Erfahrung, bei der die Menschen ihr Leben riskieren und Tausende jährlich den Tod finden.

Nicht wenige Flüchtlinge können sich die organisierten Schlepper nur leisten, indem sich ihre Familie oder sogar ganze Dörfer verschulden, damit einer von ihnen in einem reichen Land sein Glück versuchen kann.

Entwicklung der Asylgesetzgebung in Deutschland

In der Bundesrepublik hatte die Politik zunächst unter der Nachwirkung des Nationalsozialismus ein vergleichsweise außergewöhnliches, humanistisches Werkzeug geschaffen, indem sie das Recht auf Asyl im Grundgesetz verankert hatte. Hiermit erfanden die Verfasser zugleich ein Steuerungsinstrument für Flüchtlingsbewegungen. Vor dem Hintergrund der Verfolgungen unter dem Naziregime sollte eine positive Rechtsgrundlage geschaffen werden, damit politisch Verfolgte in Deutschland aufgenommen werden konnten. Flüchtlinge, die das Recht auf Asyl wahrnahmen, kamen in den ersten Jahren der Bundesrepublik zumeist aus dem Ostblock. Zudem wurden in Zeiten des Wirtschaftswunders viele Arbeitskräfte gebraucht. Begriffe wie „Scheinasylantentum“ oder „Asylmissbrauch“ kamen erst später auf, nachdem die „Flüchtlingsströme“ aus anderen Teilen der Welt zunahmen.

Die Zeit nach der Wiedervereinigung brachte schließlich einen breiten Parteienkonsens für eine Grundgesetzänderung im Jahr 1993. Der Paragraph 16 des Grundgesetzes, der das Recht auf Asyl definierte, wurde im Bundestag mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit außer Kraft gesetzt. Kritiker der neuen, an europäischem Recht orientierten Asylgesetzgebung sehen die Genfer Flüchtlingskonvention in Deutschland nicht mehr als erfüllt an, da Flüchtlinge nun, wenn sie über einen Nachbarstaat einreisen, in die sogenannten „vermeintlich sicheren Drittstaaten“ abgeschoben werden können.

Einem Asylgesuch in Deutschland wird regelmäßig nur in seltenen Fällen (unter 2 Prozent) stattgegeben, 13 Prozent der Antragsteller erhalten Flüchtlingsschutz. Etwa ebenso viele Flüchtlinge (13,5 Prozent) erhalten ein Abschiebeverbot, welches nur auf Zeit eine gewisse Sicherheit bietet. Die meisten Flüchtlinge auf deutschem Boden haben mit einer solchen befristeten Duldung einen auf Dauer unsicheren Aufenthaltsstatus. Fast 50 Prozent der Anträge wurden auch 2012 abgelehnt, und bei 22,6 Prozent aller Antragsteller wurde eine formaljuristische Entscheidung auf Abschiebung ohne inhaltliche Prüfung getroffen. [Quelle: www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/statistik-anlage-teil-4-aktuelle-zahlen-zu-asyl.pdf?__blob=publicationFile]

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