Globalisierung in Vietnam

Die Sozialistische Republik Vietnam in Südostasien hat sich nach längerer Isolation seit Mitte der 1980er Jahre systematisch der Marktwirtschaft geöffnet. Sie konnte seither ein dynamisches Wachstum verzeichnen. Mit der wirtschaftlichen Liberalisierung haben auch in Vietnam Einflüsse der Globalisierung an Bedeutung gewonnen. Dennoch ist der Transformationsprozess von der sozialistischen Staatswirtschaft hin zur Marktwirtschaft nicht abgeschlossen. Nach wie vor bestehen neben der Bereitschaft zur wirtschaftlichen Öffnung – vor allem ideologisch und politisch bedingte – Abgrenzungstendenzen. Die Potentiale, die die Globalisierung Vietnam bietet, sind damit noch längst nicht ausgeschöpft. Um das Verhältnis Vietnams zur Globalisierung zu verstehen, ist ein Blick in die Vergangenheit nötig. Sie steht gleichzeitig für die Ausgangssituation des Landes vor Beginn des Öffnungsprozesses.

Von der Isolation zur marktwirtschaftlichen Öffnung

Die Sozialistische Republik Vietnam entstand offiziell 1976 rd. ein Jahr nach dem Ende des Vietnamkrieges mit der Vereinigung von Nord- und Südvietnam. Mit dem Sieg des kommunistischen Nordens fand eine wirtschaftliche Neuordnung in dem bisher marktwirtschaftlich organisierten und durch US-Transferzahlungen massiv unterstützten Süden statt. Nach dem Modell Nordvietnams wurden die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Verstaatlichung von Industrie und Handel durchgeführt, die Wirtschaftslenkung im vereinigten Land erfolgte nach planwirtschaftlichen Prinzipien. 1978 trat Vietnam dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (engl. COMECON) unter Führung der Sowjetunion bei, mit der das Land politisch verbunden war. Gleichzeitig verhängten die USA ein Handelsembargo, das auch internationale Organisationen wie den IWF oder die Weltbank daran hinderte, dringen benötigte Aufbauhilfen zu gewähren. Das durch den Krieg schwer gezeichnete Land war in der Folge ausschließlich auf Wirtschaftshilfe durch den COMECON angewiesen.

Verhältnis zu China

Zum nördlichen Nachbarn China bestand ein angespanntes Verhältnis, was intensivere Handelsbeziehungen unmöglich machte und zeitweise sogar zu kriegerischen Auseinandersetzungen führte. Vietnam sah sich durch diese Situation weitgehend wirtschaftlich und politisch isoliert. Zahlreiche Vietnamesen flüchteten als ‚Boatpeople‘ unter dem Eindruck von Armut und kommunistischer Repression. Durch die Kriegsfolgen und die Mängel der Planwirtschaft geriet das Land Mitte der 1980er Jahre schließlich an den Rand des ökonomischen Kollapses. In dieser Zwangslage erfolgten ab 1986 unter dem Schlagwort Doi Moi (Wirtschaftserneuerung) die marktwirtschaftlichen Reformen, die in den nächsten Jahren schrittweise umgesetzt wurden. Die bis dahin weitgehend verbotene privatwirtschaftliche Betätigung wurde (wieder) erlaubt und Auslandsinvestitionen wurden zugelassen. In den Folgejahren verzeichnete Vietnam ein rasantes Wirtschaftswachstum mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 7 % und 8 %, das nur kurz durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 bis 2009 unterbrochen wurde.

Beitrag der „Auslandsvietnamesen“

Zur wirtschaftlichen Entwicklung trugen dabei nicht zuletzt umfangreiche Investitionen und Transferleistungen der vielen Auslandsvietnamesen – vor allem in den USA – bei. Bereits nach wenigen Jahren betrug der Anteil der Privatwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt rd. 40 % – mit weiter steigender Tendenz. Der Außenhandel nahm – praktisch vom Nullpunkt aus – sprunghaft zu und erreichte 2011 ein Volumen von 105,8 Mrd. US-$ bei den Importen und 96,3 Mrd. US-$ bei den Exporten. Die dynamische Entwicklung der vietnamesischen Außenwirtschaft zeigt die zunehmende Integration des Landes in den Prozess der ökonomischen Globalisierung. Sie wurde vor allem möglich durch das Ende des US-Embargos im Jahre 1994. Mit der Aufhebung des Handelsembargos wurde auch die Mitgliedschaft des Landes in wichtigen internationalen Wirtschaftsorganisationen – zum Beispiel IWF, Weltbank – möglich. 2007 trat Vietnam dem Welthandelsabkommen GATT bei, was einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Globalisierung darstellte.

Globalisierung in Vietnam: Friktionen, Grenzen und Ungleichgewichte

Vietnam hat mit der Entwicklung der letzten Jahrzehnte zweifelsohne eine große Wegstrecke bei der Integration in die Weltwirtschaft zurückgelegt. Allerdings ist dieser Prozess nicht reibungslos verlaufen und auch noch nicht abgeschlossen. Nach wie vor gilt in Vietnam das Leitbild der ’sozialistischen Marktwirtschaft‘, in der staatliche Lenkung und Wirtschaftsbetätigung eine wichtige Rolle spielen. In politischer Hinsicht steht das Land weiterhin unter Führung der kommunistischen Partei, unter deren Führungsanspruch es wenig Spielraum für demokratische Veränderungen gibt. Dies zeigt sich zum Beispiel bei modernen Kommunikations- und Informationsinstrumenten wie dem Internet, das in Vietnam über ein entsprechendes Filtersystem der Zensur unterliegt. Vietnamesen haben daher nur einen beschränkten Zugang zu den Informationen des World Wide Web. Der dynamische wirtschaftliche Entwicklungsprozess ist durchaus nicht gleichmäßig verlaufen. Es besteht ein starkes Stadt-Land- und ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle. Der wirtschaftliche Aufschwung konzentriert sich stark auf den prosperierenden Großraum Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon) im Süden. Dies hat zu sozialen Ungleichgewichten und Ungleichverteilungen unter den rd. 88 Mio. Vietnamesen geführt. Rd. 60 % der Vietnamesen leben auf dem Land, erwirtschaften aber nur 20 % des Bruttoinlandsprodukts, umgekehrt wird im Großraum des ehemaligen Saigon mit ca. 10 Mio. Einwohnern alleine ein Viertel der Wirtschaftsleistung erstellt.

Export

Die vietnamesische Außenhandelsbilanz ist chronisch defizitär. Exportiert werden vor allem Textilien, Schuhe, Rohöl, Elektronik, Möbel und landwirtschaftliche Produkte, zum Beispiel Kaffee. Haupthandelspartner bei den Ausfuhren sind die USA, EU, Japan, China und Australien. Die Importe werden durch Maschinen, Stahl, Stoffe und Elektronik geprägt und erfolgen vorwiegend aus China, Südkorea, Japan, Singapur und Taiwan. Das Außenhandelsdefizit ist ein inflationstreibender Faktor und trägt zur wirtschaftlichen Destabilisierung bei. Ausgleichend wirken die umfangreichen Überweisungen der Auslandsvietnamesen und der zunehmende internationale Tourismus, dem gute Perspektiven zuerkannt werden. Erheblicher Nachholbedarf besteht bei der Infrastruktur. Sowohl das Straßen- als auch das Schienennetz müssen modernisiert und ausgebaut werden. In das Telekommunikationsnetz wurde bereits investiert, dennoch sind hier weitere Anstrengungen erforderlich. Infrastrukturinvestitionen bieten damit auch erhebliche Potentiale für weitere Auslandsinvestitionen.

Südostasien im Blickpunkt

Vietnam ist ein Land im Umbruch. Mit der marktwirtschaftlichen Öffnung und der Aufnahme und Intensivierung internationaler Handelsbeziehungen begann ein Prozess der Vernetzung und Verflechtung mit der Weltwirtschaft, der sich auch in Zukunft fortsetzen wird. Der Fokus liegt dabei – bedingt durch die geographische Lage Vietnams – auf Südostasien. In der ASEAN (Association of South East Asian Nations) nimmt Vietnam bereits seit längerem eine aktive Rolle war. Die ASEAN verfolgt das Ziel, in den nächsten Jahren einen der EU vergleichbaren Wirtschaftsraum in Südostasien zu errichten. Supranationale Wirtschaftsräume sind ein Merkmal ökonomischer Globalisierung. Vietnam ist außerdem Mitglied der asiatischen Freihandelszone AFTA und der APEC (Asia Pacific Economic Conference). Entscheidend für den Umfang der Einbindung Vietnams in den Prozess der Globalisierung werden die politischen Rahmenbedingungen sein. Ideologische Gesichtspunkte haben hier bisher eher verlangsamend gewirkt. Eine spannende Frage ist, inwieweit die wirtschaftliche Öffnung langfristig auch zu einer politischen Liberalisierung führen wird. Die Antwort hierzu steht noch aus.

Zurück zur Hauptseite: Länder
Permalink dieser Seite zur Zitation auf Webseiten & in Hausarbeiten: