Globalisierung im Kongo

Das zentralafrikanische Gebiet Kongo war einst belgische und französische, kurzzeitig (1911-1918) in seinem Nordteil als Deutsch-Kamerun auch deutsche Kolonie. Das Land ist ein Beispiel für eine lange Leidensgeschichte, die man durchaus als Teil der Entwicklung der Globalisierung betrachten kann. Seinen Namen hat das Land von dem gleichnamigen Fluss, einem alten und wichtigen afrikanischen Verkehrsweg.

Wechselvolle Geschichte

Wenn man heute vom Kongo spricht, meint man die Demokratische Republik Kongo, die auch einige Zeit als Zaire bekannt war, aber auch die angrenzende Republik Kongo. Diese aktuellen Namensgebungen sind die bislang letzten Umbenennungen in der wechselvollen Geschichte der Länder im Herzen von Afrika. Von Anfang an war die Geschichte des Landes und sein Verhältnis zur restlichen Welt eine Geschichte von Leid und Unterdrückung, Krieg und Bürgerkrieg. Bereits im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert erlangte der Kongo traurige Berühmtheit als ein Zentrum des Sklavenhandels. Im achtzehnten Jahrhundert begann der französische Versuch der Christianisierung des Landes. Den ersten Schub einer sehr einseitigen Globalisierung erlebte das Land in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, als es zwischen den Kolonialmächten Frankreich und Belgien aufgeteilt wurde. Insbesondere die Kolonie Belgisch-Kongo wurde zum Inbegriff unvorstellbarer kolonialer Ausbeutung und Grausamkeit. Nicht umsonst hat der große englische Schriftsteller Joseph Conrad für sein Werk über die sozialen und seelischen Abgründe des Kolonialismus, die Erzählung „Das Herz der Finsternis“, die Kolonie Belgisch-Kongo als Schauplatz ausgewählt. Diese Erzählung wurde als Abenteuerroman und als zugleich sozialpsychologische Studie über die Auswirkungen des Kolonialismus auf Herrschende und Beherrschte so stilbildend, dass der amerikanische Regisseur Francis Ford Coppola sie als Grundlage für sein Filmepos über den Vietnamkrieg „Apocalypse now“ verwendete. Der Kongo steht also am Anfang des Kolonialismus und zumindest indirekt auch am endgültigen Ende des kolonialen Zeitalters.

Globalisierung als Einbahnstraße

Der langwierige Prozess der Entkolonialisierung, der sich praktisch durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zog, hat in Afrika ein schwieriges Erbe hinterlassen. Die Demokratische Republik Kongo, auf der im Folgenden das Hauptaugenmerk liegen wird, und ihre „Vorläufer“ sind dafür ein eindrückliches Beispiel. Globalisierung bedeutet hier nach wie vor in erster Linie Einflussnahme ausländischer Mächte und internationaler Institutionen. Die Geschichte des Kongo im zwanzigsten Jahrhundert ist geprägt von ausländischen Interventionen und Bürgerkriegen, in denen die unterschiedlichsten politischen und ethnischen Gruppierungen um die Vorherrschaft kämpfen. So zerfällt die Bevölkerung der Demokratischen Republik in rund zweihundert Ethnien, die unterschiedliche Dialekte und zum Teil komplett verschiedene Sprachen sprechen. Amtssprache und zugleich allgemeine Verkehrssprache ist Französisch.

Die Folge von äußerer Einmischung, Krieg und Bürgerkrieg sind anhaltende Armut, fehlende Infrastruktur und Unterentwicklung. Seit den sechziger Jahren haben auch diverse UNO-Blauhelmmissionen keinen dauerhaften Frieden im Kongo bewirken können. Die letzten Wahlen, die unter UN-Aufsicht stattfanden, haben das Land nicht geeint, sondern im Gegenteil weiter gespalten. Seither findet der Bürgerkrieg im Kongo, in diesem Fall in der Demokratischen Republik Kongo, sozusagen unter globaler Beobachtung statt. Das Land ist auf dem Weg, einen Platz auf der Liste der „failed states“ zu erhalten.

Armut trotz Reichtum

Dass der Kongo, und das gilt für beide Republiken, trotz dieser katastrophalen inneren Zustände so hohe internationale Aufmerksamkeit findet, liegt an dem anhaltenden wirtschaftlichen und politischen Interessen der ehemaligen Kolonialmächte, aber auch an dem natürlichen Reichtum des Gebietes. Trotz der ungünstigen „Rahmenbedingungen“ ist das rohstroffreiche Land für ausländische Investoren durchaus attraktiv. Globalisierung bedeutet im und für den Kongo derzeit vor allem die Globalisierung seiner Ressourcen.
Der Kongo zählt zu den rohstoffreichsten Gebieten Afrikas: Erdöl, Diamanten, Gold, Kupfer, Coltan und Bauxit, sowie forstwirtschaftlichen Erzeugnisse bilden den natürlichen Reichtum des Kongo. Trotz günstiger klimatischer Verhältnisse und erstklassiger Ackerböden, befindet sich die Landwirtschaft des Landes in einem außerordentlich schlechten Zustand. Derzeit reichen die eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht aus, um die eigene Bevölkerung zu ernähren, so dass die Kongorepubliken Nahrungsmittel importieren müssen.

Ebenfalls in einem extrem schlechten Zustand ist in beiden Ländern die gesamte Infrastruktur. Schienen- und Straßennetz, der Flugverkehr, Schulen und Verwaltung wurden über Jahrzehnten durch einen Teufelskreis von Ausbeutung, Gewalt, Korruption und struktureller Unterentwicklung immer weiter in Mitleidenschaft gezogen. Auch die Experimente einer sozialistischen Planwirtschaft, die vor allem die siebziger und achtziger Jahre prägten, sind auf der ganzen Linie gescheitert. Heute nimmt die Demokratische Republik Kongo auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen den letzten Platz ein. Auch die wirtschaftliche Entwicklung der Republik Kongo stagniert oder hat sogar absteigende Tendenz. Die seit der Finanzkrise fallenden Rohstoffpreise wirken sich zusätzlich negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung aus.

Negative Globalisierung

Von den natürlichen Voraussetzungen her, von Größe und Bevölkerungszahl her betrachtet, hätte ein vereinigter Kongo die besten Voraussetzungen eine einflussreiche Regionalmacht und ökonomisch ein beachtlicher Global Player zu sein. Warum das dem Kongo nicht gelungen ist, hat eine Reihe von komplexen Ursachen, die ihre Wurzeln in dem Kolonialismus des neunzehnten Jahrhunderts haben. Insbesondere das belgische Kolonialregime hinterließ ein verheerendes Erbe. Zwar investierte das Königreich Belgien einen Teil des Reichtums, den sie aus der Kolonie gewonnen hatte, in infrastrukturelle Maßnahmen, etwa den Ausbau eines soliden Straßennetzes. Gleichzeitig verhinderte Belgien aber über Jahrzehnte alle Maßnahmen, die auch nur ansatzweise zu einer Verbesserung der Lebensmöglichkeiten der einheimischen Bevölkerung hätten führen können. Armut, Hoffnungslosigkeit, Mangel an Bildung und damit an wirtschaftlichem und verwaltungstechnischem Know How konnten nach dem Abzug der Kolonialmächte nicht aus eigener Kraft kompensiert werden.

Wie in vielen ehemaligen Kolonien war die einzig einigermaßen intakte Institution das Militär, dessen Interessen sich jedoch nachhaltig von den Bedürfnissen und Anforderungen der restlichen Bevölkerung unterschieden. Ein weiteres Erbe des Kolonialismus besteht in der erzwungenen Zusammenführung verschiedenster Ethnien. Verfeindete Stämme und Clans sowie unterschiedliche Religionsgruppen sollten unter dem Dach eines Nationalstaates vereint werden. Diese in der Regel künstlichen Staatsgebilde gehören zum folgenreichsten Erbe des Kolonialismus – vor allem auf dem afrikanischen Kontinent. So ist es kein Wunder, dass die neuen unabhängigen Kolonien – vom Sudan über Ruanda bis in den Kongo – von Anfang an von ethnischen und religiösen Konflikten geprägt waren. Muslime, Christen unterschiedlicher Konfession sowie traditionelle animistische Religionen haben unterschiedliche Völker und Kulturen geprägt. Zusammen mit ethnischen und sprachlichen Differenzen führt dies immer öfter zu soziokultureller (Selbst-) Isolation, gegenseitigen Unverständnis und im Extremfall zu Hass. Der Völkermord in Ruanda, die Spaltung des Sudan und der anhaltende Bürgerkrieg im Kongo sind dafür besonders krasse Beispiele.

Abkopplung vom der Globalisierung

Der Kongo ist also, wie viele afrikanische Staaten, von der wirtschaftlichen und kulturellen Dynamik der Globalisierung weitgehend abgekoppelt. Das Land ist kein Akteur, sondern in erster Linie Objekt der allgemeinen Entwicklung. Eine eigene Rolle wird das Land auf absehbare Zeit nicht spielen können. Ohne seine Bodenschätze wäre die Unterstützung, die die Weltgemeinschaft den Kongorepubliken zukommen lässt, noch geringer als sie derzeit ohnehin ist. In diesem Zusammenhang muss man leider auch feststellen, dass das Eingreifen der Vereinten Nationen wenig erfolgreich war. Nach dem bereits erwähnten Misserfolg der demokratischen Wahlen, die 2011 in der Demokratischen Republik Kongo unter UN-Aufsicht durgeführt wurden, ist nun auch die UN-Blauhelmmission, die den Friedensprozess im Gefolge der Wahlen überwachen und die Zivilbevölkerung schützen sollte, praktisch gescheitert.

Und nicht nur das: Immer wieder tauchen Vorwürfe auf, dass es in den Flüchtlingslagern zu Übergriffen der UN-Soldaten kommt. Auch diese Vorgänge können als eine Art negative Globalisierung beschrieben werden. Die Aussichten für den Kongo sind also derzeit eher düster. Viel wird davon abhängen, über wie viele Reserven die radikalen Milizen noch verfügen und ob es überhaupt noch einflussreiche Kräfte gibt, die an einer rationalen, friedlichen Lösung interessiert sind. Auch die Weltgemeinschaft muss sich zu einem weitgehenden Engagement, finanziell und wahrscheinlich auch militärisch, durchringen. Derzeit ist die Geschichte der Globalisierung im Kongo eine Geschichte des Zerfalls.

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