Globalisierung in Ungarn

Der mitteleuropäische Binnenstaat Ungarn mit seinen rund 10 Millionen Einwohnern ist eine parlamentarische Republik und seit dem 1.5.2004 Mitglied der Europäischen Union. Laut dem Human Development Index 2011, dem von den Vereinten Nationen herausgegebenen Wohlstandsindex für Länder, in den die Lebenserwartung, der Bildungsindex und das Bruttonationaleinkommen pro Einwohner einfließen, gehört Ungarn zu den sehr hoch entwickelten Ländern der Welt (Stand 2011), was nicht zuletzt auf die Globalisierung zurückzuführen ist.

Verschiedene Dimensionen der Globalisierung

Die zunehmende Verflechtung verschiedener Staaten in wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Hinsicht ist kein Phänomen der Neuzeit, sondern schaut auf eine lange Entwicklung zurück. Allerdings haben der technische Fortschritt und politische Veränderungen gerade in den letzten 25 Jahren die Globalisierungseffekte viel deutlicher werden lassen. Grenzüberschreitender Handel, Telekommunikation rund um den Globus und internationaler Tourismus sind heute für viele Selbstverständlichkeiten, obwohl es große länderspezifische Unterschiede gibt. Auf der anderen Seite wirken sich Krisen in verflochtenen Märkten, wie z.B. dem internationalen Finanzmarkt, auch in größerem Maßstab aus, wie gerade Ungarn seit 2007 erfahren musste. So musste der Forint als Nationalwährung im Herbst 2008 herbe Verluste hinnehmen und von der Europäischen Zentralbank und dem IWF unterstützt werden.

Ursachen für finanzielle Anfälligkeit

Die Ursachen für diese Anfälligkeit Ungarns gegen die Auswirkungen der Finanzkrise lagen insbesondere in den Leistungsbilanz- und Haushaltsdefiziten begründet. Zwar profitierte der ungarische Export durchaus von der Globalisierung, denn mit rund 65 % des BIP (2004) war die Quote relativ hoch, aber der Import stieg 2004 ebenfalls enorm, so dass ein Leistungsbilanzdefizit von 9 % (2004) zu verzeichnen war. Auf der anderen Seite konnte Ungarn die Maastricht-Kriterien für den Beitritt in die Euro-Zone bislang nicht erfüllen, denn das Haushaltsdefizit betrug 2007 noch 4,9 % des BIP und die Staatsverschuldung 70 % (2007). Die Zahlen haben sich zwar laut einer Veröffentlichung der German Trade & Invest, Gesellschaft zur Außenwirtschaftsförderung der BRD, aus dem November 2012 verbessert und weisen für 2011 einen Leistungsbilanzüberschuss von 1,0 % des BIP und einen Haushaltsüberschuss von 4,3 % des BIP auf, aber die Staatsverschuldung lag 2011 bei 81,4 % des BIP.

Die Prognosen für 2012 und 2013 lassen eine Reduzierung der Staatsverschuldung vermuten, wozu auch der enorme Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen in 2011 um mehr als 100 % im Vergleich zu 2010 beiträgt. Hier lassen sich die Auswirkungen der Globalisierung auf die ungarische Wirtschaft eindeutig ablesen. In Ungarn existiert also ein umfangreiches und internationales Waren- und Dienstleistungsangebot, dem jedoch eine relativ geringe Kaufkraft gegenüber steht. Mit einem durchschnittlichen Monatsbruttolohn von 760 Euro in 2011 (Quelle: Germany Trade & Invest 2012) liegt Ungarn weit unter dem Durchschnitt der EU-Länder.

Wirtschaftliche Folgen der Globalisierung

Die Beitrittsbemühungen zur Euro-Zone bestimmten weitgehend das politische Handeln in Ungarn, denn die Einhaltung der Maastricht-Kriterien sollte schon bis 2010 gewährleistet sein. Die dazu notwendigen Steuerhöhungen, Entlassungen im Öffentlichen Dienst und Einschränkungen bei der medizinischen Versorgung sind aber heftig umstritten und haben zu politischen Unruhen geführt. Gegner der Globalisierung nutzen die zunehmenden Spannungen zur Argumentation, so sind insbesondere in den letzten Jahren nationalistische Tendenzen in Ungarn zu verzeichnen, die u.a. in dem zum 1.1.2011 in Kraft getretenen Mediengesetz Ausdruck fanden. Insgesamt ist also eine Diskrepanz zwischen den wirtschaftlichen Erfolgen durch die Globalisierung, die natürlich einen Konkurrenzkampf zwischen Nationalstaaten mit sich bringt, und der Wahrnehmung festzustellen. Dazu trägt auch die unterschiedlich schnelle Entwicklung in den einzelnen EU-Mitgliedsländern bei, was sich im so genannten Nord-Süd-Gefälle niederschlägt. Die Konzentration der Globalisierung auf Geschäftsbeziehungen und Märkte im Gegensatz zu Ökologie, Menschen- und Arbeitnehmerrechten steht im Mittelpunkt der Kritik.

Globalisierungs-Index für Ungarn

Die Quantifizierung der länderspezifischen Globalisierungsstände unter Einbeziehung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Komponenten, wird jährlich von der Konjunkturforschungsstelle an der ETH Zürich ermittelt und veröffentlicht. Zur Berechnung werden vielfältige Daten herangezogen:

  • Wirtschaft: Handelsvolumen, Investitionsströme, Behinderung des Handels und Verkehrs durch Kontrollen u.a.
  • Soziales: Telefon- und Internetverkehr, Herkunft der Menschen, Informationsverbreitung, internationaler Tourismus u.a.
  • Politik: Stärke der internationalen politische Zusammenarbeit

Anhand dieser Indikatoren wird jährlich ein Ranking erstellt, in dem Ungarn für das Jahr 2009 den hervorragenden Rang 10 einnimmt und sich so innerhalb von drei Jahren um sieben Plätze verbessert hat (Vergleich Deutschland: 2009 – Rang 18). Dabei nimmt die wirtschaftliche Globalisierung (Ungarn Rang 7) einen großen Stellenwert im Vergleich zu anderen sehr gut platzierten Ländern ein, wo der Trend in diesem Bereich eher gegenläufig ist. Die beiden anderen Dimensionen, die soziale und die politische (Ungarn Rang 21), bewegen sich dann eher im Mittelfeld der besten 15 Länder (Quelle: Medienmitteilung KOF Globalisierungsindex 2012, 16.3.2012).

Prognosen

Auch wenn das Auswärtige Amt in seiner wirtschaftspolitischen Einschätzung Ungarns (Stand Oktober 2012) von einer weiteren Schrumpfung des BIP in 2012 ausgeht, sehen die Prognosen doch auch einen Rückgang der Staatsverschuldung vor. Die wirtschaftlichen Aktivitäten Ungarns, insbesondere im Bereich alternativer Energiegewinnung, machen den erklärten Willen der Regierung deutlich, mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und modernen rechtlichen Rahmenbedingungen zu einer der führenden, wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft und zum Mitglied der Euro-Zone zu werden. Nachholbedarf gibt es in der sozialen und politischen Globalisierung, auch wenn ein guter Aufwärtstrend zu verzeichnen ist. Hier wird Ungarn innenpolitische Auseinandersetzungen mit den nationalistischen Bewegungen führen müssen, was natürlich durch wirtschaftliche Erfolge vereinfacht werden kann. Die Stärkung der Kaufkraft der Bevölkerung durch stabile Exporte, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und durch Investitionen in Infrastruktur und Innovationen sind die besten Argumente für die Globalisierung.

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