Globalisierung in Südamerika

Die Weltwirtschaft befindet sich im Aufschwung, insbesondere die ärmeren Entwicklungs- und Schwellenländer sorgen für ein weltweites Wirtschaftswachstum. Mit dabei: Brasilien und Mexiko, so genannte Schwellenländer mit sehr schnell wachsender Wirtschaft, in deren Händen die wirtschaftliche Zukunft des Planeten liegt. Die Globalisierung scheint Südamerika voll mitgenommen zu haben und für einen wirtschaftlichen Boom zu sorgen. Beim genauen Hinschauen zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Strukturelle, entwicklungstechnische und soziale Probleme beherrschen ein antiquiertes Wirtschaftssystem, das durch die Globalisierung ausgebeutet wird.

Ausgangslage der südamerikanischen Länder

Verglichen mit anderen, ärmeren Regionen auf unserem Planeten blickt Südamerika auf recht unspektakuläre und stabile Jahrzehnte zurück. In einigen Ländern seit Jahrhunderten, in anderen Ländern erst seit 20 bis 30 Jahren, befinden sich gemäßigte, demokratische Regierungen an der Macht. Gewaltgeprägte Auseinandersetzungen kamen vor, reduzierten sich jedoch meistens auf lokale Probleme wie dem Guerilla-Krieg in Kolumbien oder Grenzkonflikte zwischen Peru und Ecuador. Der Kontinent vertritt das westlich-katholische Wertesystem, es gab keinerlei Aufbegehren des Volkes hinsichtlich ideologischer Werte, nachdem die Zeit der Diktaturen zu Ende gegangen war. Darüber hinaus existiert seit jeher eine enge wirtschaftliche Beziehung zwischen Nordamerika und Südamerika sowie in Teilen auch mit Europa, die für einen relativen Fortschrittstransfer sorgte. Nicht zuletzt sind dies die Gründe, warum Südamerika sich wirtschaftlich zwar stets hinter Nordamerika und Europa befand, immer jedoch deutlich besser dastand als Asien und Afrika.

Nun hat die Globalisierung in den letzten Jahrzehnten vor allem der asiatischen Region einen enormen Aufschwung beschert und auch Südamerika musste sich in das weltweite Handelssystem einfügen. Dem Anschein nach hat dies funktioniert; Brasilien wird schon als zweite neue Weltmacht hinter China gehandelt und in Regionen wie Argentinien und Chile geht es wieder bergauf. Andererseits trüben Berichte über großes soziales Elend und Ungerechtigkeit das Bild. Wie kommt es zu dieser Divergenz? Nach Erhebungen der World Trade Organisation (WTO) ist der Anteil Südamerikas am Welthandel zuletzt auf 5,6 Prozent gestiegen, während er in den 90er Jahren noch bei 3,4 Prozent gelegen hatte. Der Anteil Südamerikas an der weltweiten wirtschaftlichen Wertschöpfung fiel jedoch von sieben Prozent auf knapp sechs Prozent. Grund hierfür ist, dass Südamerika überwiegend als weltweiter Ressourcenlieferant fungiert, jedoch kaum in höhere Produktionsprozesse einsteigt.

Südamerika als Ressourcenlieferant

Auf dem südamerikanischen Kontinent befinden sich große Rohstoff-Ressourcen. Venezuela und Brasilien treten als Ölexporteure auf, Argentinien, Uruguay und Chile exportieren große Mengen Agrarprodukte und in der gesamten Andenregion lagern wertvolle Edelmetallressourcen. Im Zuge der Globalisierung haben große transnationale Unternehmen dieses Potential erkannt und begonnen, diese Ressourcen in Südamerika abzubauen. So ist zum Beispiel Brasilien vom Großschuldner zum internationalen Kreditgeber aufgestiegen, der verschuldeten Ländern wie Deutschland Geld leiht. Berechtigterweise beschweren sich dennoch viele Südamerikaner, dass ihr Kontinent durch die Globalisierung ausgebeutet wird. Denn der Abbau der Ressourcen passiert zwar hier, die lukrative Veredelung findet jedoch in anderen Ländern statt. Der südamerikanische Arbeitsmarkt ist daher stark durch einen technisch einfachen, industriellen Sektor geprägt, der sehr niedrige Gehälter abwirft. Dies sorgt für einen geringen nationalen Konsum, was die Entwicklung nationaler Unternehmen auf dem Binnenmarkt schwächt.

Insgesamt ist der Export von Ressourcen an andere Länder für die südamerikanischen Staaten zwar sehr lukrativ, die tatsächliche Wertschöpfung für die eigene Bevölkerung und den eigenen Sozialstaat ist jedoch sehr gering. Zudem ist der gesamte südamerikanische Markt hierdurch stark von der internationalen Nachfrage abhängig. Die wirtschaftliche Stimmung orientiert sich stets an der Wirtschaftslage der Abnehmerstaaten sowie den Ressourcenpreisen allgemein, was zu starken Schwankungen führt.

Strukturelle, bildungspolitische, technologische und soziale Defizite

Dass Südamerika bisher lediglich als Ressourcenlieferant denn als selbstständiger Wirtschaftler an der Globalisierung teilnimmt, hat vielfältige Gründe. Als erster Grund kann die traditionelle Isolationspolitik vieler südamerikanischer Staaten angeführt werden, die auf die generell eher ablehnende Haltung der südamerikanischen Bevölkerung gegenüber der Globalisierung zurückzuführen ist. Schon bei den ersten Anzeichen der Globalisierung haben viele Staaten auf die Phänomene reagiert, indem sie den Binnenmarkt vom Weltmarkt abriegelten, was auch Politik der Globalisierungsverweigerer genannt wird. Dies ergibt deshalb Sinn, weil der Import ausländischer Waren den meistens nicht konkurrenzfähigen Binnenmarkt zerstören kann. Also werden Einfuhrzölle erhöht und hohe Auflagen für die Ansiedlung ausländischer Unternehmen gemacht. Für den Verbraucher drückt sich dies derart aus, dass nicht lokal produzierte Waren oder Dienstleistungen unvergleichbar viel teurer sind, als die lokalen Produkte, und somit kaum Chancen im Wettbewerb haben.

Diese Isolationspolitik bringt jedoch das Problem mit sich, dass inländische Unternehmen von der Entwicklung auf dem Weltmarkt ausgeschlossen sind, die sich vor allem während der Globalisierung extrem beschleunigt hat. Die lokalen Produkte büßen mehr und mehr an Wettbewerbsfähigkeit ein, da sie im Binnenmarkt keiner Konkurrenz unterliegen und Technologietransfer durch die Ansiedlung ausländischer Unternehmen ausbleibt. Im Umkehrschluss bedeutet dies nicht nur technologischen Rückstand im eigenen Land, sondern auch, dass südamerikanische Unternehmen im Ausland chancenlos sind: nach der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) befindet sich gerade ein einziges südamerikanisches Unternehmen unter den 100 wichtigsten Global Playern. Außerdem schneiden südamerikanische Staaten nach dem WEF Growth Competitiveness Index (Index zur Wettbewerbsfähigkeit) jedes Jahr schlechter ab. Während andere Regionen durch die Globalisierung beflügelt werden, verliert Südamerika im Vergleich an Boden.

Beeinträchtigung des Binnenmarktes

Auch an anderen Stellen existieren Defizite. So wird die Dynamik des südamerikanischen Binnenmarktes durch extrem hohen Regulierungsaufwand seitens der Regierung beeinträchtigt. Es dauert durchschnittlich doppelt so lange und ist doppelt so teuer, in Südamerika ein Unternehmen zu gründen, als es im weltweiten Durchschnitt dauert, was den Innovationsfluss extrem beeinträchtigt. Die Gründe liegen jedoch nicht nur im strukturellen Bereich, sondern vor allem auch im Bildungssektor, in dem Südamerika besonders schlecht abschneidet. Dem südamerikanischen Arbeitsmarkt mangelt es an fachlichem Qualifikationsniveau sowie Innovationskapital, was den geringen Ausgaben der südamerikanischen Staaten für Bildung und Forschung geschuldet ist. Das sekundäre und tertiäre Bildungssystem greifen kaum ineinander, der Großteil der Bevölkerung ist von höherer Bildung komplett ausgeschlossen, da diese immer noch Privileg der wohlhabenden Gesellschaft ist. Da weder eigene Kompetenz erzeugt wird, noch ein ausreichender Technologietransfer aus dem Ausland stattfindet, spielt sich der überwiegende südamerikanische Industriesektor auf technologisch niedrigem Niveau ab. Anspruchsvolle Technologien werden fast immer importiert.

Auch die enormen Unterschiede zwischen armer und reicher Bevölkerung beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit Südamerikas im globalen Vergleich. Sie sind Ausdruck mangelnden Sozialkapitals wie Gemeinsinn, Vertrauen und soziale Verantwortung. Eine Gemeinschaft mit hohem Sozialkapital wäre in der Lage, durch ziviles Engagement Vorteile für die Gesellschaft herbeizuführen und durch hohes individuelles Humankapital Entwicklungen voranzutreiben. An diesem mangelt es in Südamerika ebenso wie an Vertrauen in die Regierungen, die vorhandenen Probleme zu lösen sowie an Zuversicht für eine bessere Zukunft, wie eine Meinungsumfrage des World Economic Forum (WEF) im Jahre 2004 ergeben hat.

Bestrebungen für die Zukunft

Trotz der zahlreichen Defizite haben Bevölkerung und Regierungen in Südamerika den Großteil der Probleme erkannt. In den meisten Ländern wurden in den letzten Jahren linksorientierte Regierungen gewählt, die ein höheres Investment in die eigene Bevölkerung und die Verbesserung der Strukturen anstreben. Vielerorts ist, getrieben durch die großen sozialen Probleme und die Angst, im Wettbewerb der Globalisierung unterzugehen, eine gewisse Aufbruchsstimmung entstanden. Neben der fortschreitenden Liberalisierung der Märkte werden soziale Projekte zum Ausgleich großer sozialer Ungerechtigkeit angestoßen, Bildung wird einer immer breiteren Bevölkerungssicht zur Verfügung gestellt und durch Forschungs- und Technologiekooperationen mit Industrienationen wird das eigene technologische Potential gestärkt. Ganz besonders im Thema Integration und Gleichberechtigung sind Länder wie Brasilien durch medienwirksame Kampagnen schon heute weltweite Spitzenreiter. Beim unteren Bildungsbereich, der ausartenden Regulierung der Wirtschaft sowie bei der Korruption besteht jedoch noch viel Nachholbedarf, um international konkurrenzfähig zu werden.

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