Amoklauf Erfurt

Seit dem 26. April 2002 sind „School Shootings“ kein rein amerikanisches Phänomen mehr, Robert Steinhäuser brachte den Amoklauf in das deutsche Bewusstsein. Der 19-Jährige tötete am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt 17 Menschen und anschließend sich selbst. Auslöser des Ganzen war vermutlich der Schulverweis des Gymnasiasten ein Jahr zuvor.

Amoklauf Erfurt – die Hintergründe

Wann genau Steinhäuser begann, zwei Leben zu führen, ist nicht abschließend bekannt. Fest steht, dass er nicht, wie so oft, der typische Außenseiter und Eigenbrötler ist. Freunde beschreiben ihn als offen und witzig. Jemanden, der auch gern mal im Mittelpunkt steht. Er spielt im Verein Handball und ist das, was viele als „integriert“ bezeichnen würden. Doch es gibt auch eine 2. Seite. Einen Schüler am Erfurter Gymnasium, den der Schulalltag stresst, der dem Druck nicht standhält und der die geforderten Leistungen nicht erbringen kann. Schon mit dem Abschluss der Grundschule bringt Steinhäuser eher mäßige Noten nach Hause. Seine Leistungen bleiben auch auf dem Gymnasium schlecht, nachdem er eine Realschulabschlussprüfung im Jahr 1999 abbricht. Er flüchtet sich in eine virtuelle Welt und spielt intensiv gewaltverherrlichende Spiele. Mit dem Handball hört er auf, wird dafür aber im Jahr 2000 Mitglied in einem Schützenverein und so auch auch rechtmäßiger Inhaber eines Waffenscheins. Hinzu tritt überdurchschnittliches Interesse am Amoklauf in Littleton, USA. Robert recherchiert intensiv zum Thema im Internet und unterhält sich häufig mit Freunden über die Tat. Dabei lässt er durchblicken, dass ihn die Bilder aus Amerika zwar erschrecken, aber auch faszinieren. Ihn beeindruckt das Aufsehen, welches der Vorfall erregte. Ein Jahr später fällt Steinhäuser erstmalig mit nicht angepasstem Verhalten gegenüber einem Lehrer auf. Während einer Klassenfahrt, auf der er sich ein Sachbuch über Waffen kauft, wird er mit Zigarre und Whiskey erwischt, geht in Cowboymanier auf den ermahnenden Lehrer zu und äußert: „… dich erledige ich“.

Der Täter

Der schulische Supergau ereilt ihn im September 2001 nachdem er zur Rechtfertigung von Fehlzeiten in der Schule ein ärztliches Attest fälscht. Bei einem Gespräch mit der Rektorin des Gymnasiums gesteht er die Fälschung und wird der Schule verwiesen. Für den Schüler bedeutet dies nicht nur, dass er kein Abitur bekommen wird, das thüringische Recht sieht zudem damals keine automatische Anerkennung der mittleren Reife vor. Insofern steht er gänzlich ohne Abschluss und ohne Chance auf einen Berufseinstieg da. Steinhäuser macht die Rektorin und die Lehrerschaft insgesamt für sein Scheitern verantwortlich und wird zum exzessiven Spieler von „Ego-Shootern“. Weder die Schulleitung noch seine Eltern erkennen das Dilemma und geben ihm nicht die nötige, emotionale Unterstützung, die ein Heranwachsender in solch einer Situation braucht. Hilfsangebote für alternative Möglichkeiten zur Ablegung des Abiturs lehnt Steinhäuser ab. Zwar kümmert er sich zunächst noch um einen Schulwechsel, bringt diesen aber wegen kleinerer Probleme nicht zu Ende.

Er entscheidet sich für ein Abgangszeugnis und besucht bis zu seinem Massaker keine weitere Schule mehr. Es gelingt ihm, über ein halbes Jahr Freunde und Familie über sein Fernbleiben von Schulen hinwegzutäuschen. Er verlässt jeden Morgen das Haus und verbringt seine Tage in Videotheken und an anderen, unbekannten Orten, ohne dass irgendjemand an seinem Besuch einer Schule zweifelt. Seinen Eltern legt er schließlich ein gefälschtes Zwischenzeugnis vor, welches diese beruhigt und in der Hoffnung wägt, er würde sein Abitur schaffen. Seit Oktober 2001 erwirbt Steinhäuser eine Pistole, eine Schrotflinte, die er mit einem Pistolengriff ausrüstet, mehrere Hundert Schuss Munition und Zubehör wie etwa ein Beinholster. Finanzieren kann er dies mit seinen Ersparnissen von circa 3000 DM. Außer einigen seiner Freunde weiß niemand von den Waffen. Vor den Eltern versteckt er diese in seinem Zimmer. Bis zum Tag vor dem Amoklauf sind keine Anzeichen für die Tat zu erkennen. Alle Befragten äußern, dass Robert bis zum letzten Abend völlig normal gewesen ist. Die Abiturprüfungen standen unmittelbar bevor und er verabredete sich für entsprechende Feiern und einen Kinoabend danach.

Chronik der Ereignisse am 26.04.2002

Robert Steinhäuser wählt den letzten Tag der Abiturprüfungen am Gutenberg-Gymnasium für sein Massaker aus. Er steht gegen 9:00 Uhr morgens auf, erklärt seinen Eltern, dass er die Englischprüfung und damit seine letzte Prüfung ablegen muss und verlässt die Wohnung wie gewohnt. Ungefähr 10:45 Uhr betritt er das Schulgebäude und begibt sich in die Sanitärräume. Dort rüstet er sich mit seiner Pistole, der Schrotflinte und Munition aus und streift sich eine schwarze Gesichtsmaske mit Augenschlitzen über den Kopf. Über 500 Patronen, eine Machete und persönliche Gegenstände lässt er in der Toilettenkabine zurück. Er begibt sich zügig über den Flur in das Sekretariat und beginnt seinen Amoklauf mit der Ermordung der stellvertretenden Direktorin und der Sekretärin. Die Direktorin, die sich zu diesem Zeitpunkt in ihrem Büro direkt neben dem Sekretariat befindet, hört die Knallgeräusche und Schreie der ersten beiden Opfer, kann aber nur noch deren Leichen entdecken und alarmiert als Erste telefonisch den Rettungsdienst. Unterdessen begibt sich Steinhäuser in das 1. Obergeschoss und findet in einem Lehrer, der gerade einen Raum aufschließt, sein drittes Opfer. Der Täter öffnet zielstrebig die Tür zu einem Klassenzimmer und erschießt vor den Augen der Schüler einen weiteren Lehrer. So setzt Steinhäuser seinen Weg durch das ganze Gebäude fort und absolviert innerhalb weniger Minuten mehrere Kilometer Fußmarsch. Er tötet schließlich insgesamt eine Sekretärin, zwölf Lehrer, einen Polizisten und zwei Schüler teilweise mit mehreren Schüssen in Kopf und Körper.

Zurück im ersten Obergeschoss nimmt der Täter seine Maske ab und trifft auf einen Lehrer, den er persönlich kennt. Dieser weiß, in welcher Lage er sich befindet und was in den Minuten zuvor ablief. Er sagt sinngemäß: „Du kannst mich jetzt erschießen“ worauf der Amokschütze antwortet: „Für heute reicht’s“. Der Lehrer gibt vor, mit Robert in einem Raum sprechen zu wollen. Als Steinhäuser zustimmt und den Raum betritt, wird er von dem Lehrer hineingestoßen und eingesperrt. Zeugen hören, wie sich der Täter in dem Raum selbst richtet. Für seinen Amoklauf benötigte Robert Steinhäuser insgesamt circa 20 Minuten.

Die Zeit danach

Anfänglich hielten Gerüchte zu einem zweiten Täter hartnäckig Einzug in die Berichterstattung. Offizielle Untersuchungen schließen indes die Beteiligung einer weiteren Person aus. Auch die Kritik an dem letzten Lehrer, dem Steinhäuser begegnete und der Rektorin bleiben ohne Grundlage. Der Amoklauf von Erfurt führte zu zahlreichen Änderungen und Verschärfungen des Waffengesetzes, der Landespolizeigesetze, des Jugendschutzgesetzes sowie des thüringischen Schulgesetzes. Insbesondere die Arbeit der Polizei stand lange Zeit auf dem Prüfstand und wurde scharf kritisiert. Die Polizeibehörden, die bis dato keine Handlungskonzepte für derartige Phänomene vorweisen konnten, entwickelte Strategien und Lösungen zum Handling ähnlicher Vorfälle, die nach und nach jedem einzelnen Polizisten in speziellen Trainings vermittelt werden. Inzwischen zeigte sich bei anderen Amoktaten, dass das neue Handlungskonzept aufgeht und Täter so frühzeitig, ohne das Warten auf Spezialkräfte gestoppt werden können.

Auch die Diskussion um den Einfluss gewaltverherrlichendere Filme und sogenannter „Ballerspiele“ auf Jugendliche wurde nie so hitzig geführt, wie nach den Ereignissen in Erfurt. Nach der Tat litten über 700 Menschen an posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Thüringer Unfallkasse wandte über fünf Millionen Euro zur Opferbetreuung und Rentenzahlung auf. Bis heute ist eine beeindruckende Welle der Solidarität und Trauer zu erkennen. Regelmäßig kommt es zu großen Gedenkveranstaltungen und Gottesdiensten für die Hinterbliebenen.

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