Globalisierung in Libyen

Libyen gehörte zu den Ländern, die in den letzten beiden Jahren am häufigsten in den Medien präsent waren. Der Sturz und die Ermordung des Diktators Muammar-al-Gadafi, der Bürgerkrieg und die hohen zivilen Opferzahlen durch die Intervention zum „Schutz der Zivilbevölkerung“, der insgesamt zehntausende Menschen zum Opfer fielen, werden international bis heute kontrovers diskutiert. Nach dem Ende der Zwangsherrschaft Gadafis, der Dschamahirija, zerfällt Libyen unter der eingesetzten Übergangsregierung nun in weiten Teilen in seine Stammesgebiete. Inwieweit die gerade stattfindenden Prozesse als positive oder negative Entwicklung zu beurteilen ist, ist weithin Interpretationssache. Keinesfalls von der Hand zu weisen ist allerdings der Einfluss, den die Globalisierung beim arabischen Frühling insgesamt, vor allem aber beim Sturz des libyschen Regimes gespielt hat.

Libyens Situation während des Gadafi-Regimes

Trotz der Diktatur war Libyen vor dem Sturz des Regimes eine der am weitesten entwickelten Volkswirtschaften Nordafrikas, mit bei . Auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung stand Libyen im Vergleich zu sehr vielen arabischen Staaten sehr weit vorne: die weitgehende Gleichberechtigung der Frau und die freie Religionsausübung waren in Libyen garantiert. Dennoch kam es im Februar 2011 zu lokalen Aufständen gegen das Gadafi-Regime und im Weiteren zu einer Spaltung der politischen Führung des Landes, die sich nach dem Eingreifen von NATO und einiger arabischer Staaten zu einem blutigen Bürgerkrieg auswuchs, bei dem vor allem auch zehntausende Zivilisten ihr Leben verloren.

Für viele liegt der Einfluss der Globalisierung im Bereich des arabischen Frühlings vor allem darin, dass die zunehmende Globalisierung in vielen diktatorisch regierten Staaten der Welt den Wunsch nach individueller Freiheit aufkommen lasse. Inwieweit solche Gründe bei der politischen Spaltung in Libyen und bei der Formierung der bewaffneten Opposition eine Rolle gespielt haben, lässt sich allerdings nicht sicher sagen. Sicher ist hingegen, dass die koordinierte militärische Intervention aus bewaffneter Opposition, arabischen Staaten und NATO in einer Welt aus separierten Nationalstaaten so sicherlich nicht stattgefunden hätte.

Globalisierung und positive Veränderungen in Libyen

Mit August 2012 übergab die Übergangsregierung die Macht an den Allgemeinen Nationalkongress Libyens, dem sich die Milizen aber bislang nicht untergeordnet haben. Politische Beobachter sprechen von der Gefahr eines neuen Bürgerkriegs, und vom Verdacht auf Menschenrechtsverletzungen durch das neue Regime. Auch Christenverfolgungen und die Verfolgung von Angehörigen der Tubu-Minderheit sollen vorgekommen sein. Auch Foltervorwürfe wurden in mehr als hundert Fällen gegen die Übergangsregierung von neutralen Beobachtern erhoben. Libyen befindet sich also im Moment ganz deutlich in einem Übergangsprozess zwischen dem alten und einem erst zu gründenden neuen Regime. Positiv zu beurteilen ist dabei, dass im Licht der Weltöffentlichkeit kaum die Möglichkeit besteht, ein weiteres diktatorisches Regime zu gründen.

Im Vergleich dazu war das zur Zeit der Machtübernahme Gadafis ein weltweit kaum beachtetes Problem. Die positive Veränderung, die die Globalisierung hier also in jedem Fall mit sich gebracht hat, ist, dass die Gründung von repressiven nationalstaatlichen Regimen von einer breiten Weltöffentlichkeit wahrgenommen, kommentiert und auch kritisiert wird. Auch die Möglichkeit politischer Interventionen – nötigenfalls militärischer Interventionen – ist heute durch das Zusammenrücken der Einzelstaaten wesentlich besser gegeben, und wesentlich wirksamer als noch vor dreißig Jahren.

Alle diese Gegebenheiten lassen doch durchwegs den Schluss zu, dass sich die Welt insgesamt gesehen auf einem Weg zum Frieden und zur Völkerverständigung befindet, auch wenn einzelne Kriege und Bürgerkriege sowie schwere soziale Spannungen in einzelnen Ländern oft ein anderes Bild liefern. Da aber alle diese Prozesse praktisch vor der gesamten Weltöffentlichkeit ablaufen, sind ihnen ganz praktische Schranken gesetzt. Langfristig können wir durch die Globalisierung also ganz sicher eine Stabilisierung der Welt erwarten. In Bezug auf das libysche Regime und den künftigen Weg, den der libysche Staat nimmt, müssen sich diese positiven Veränderungen allerdings erst noch erweisen.

Zunehmende außenpolitische Öffnung des neuen Regimes

Durch den Beitrag vieler westlicher Staaten beim Sturz des Gadafi-Regimes kommt es in der Folge von der neuen Regierung zu einer Öffnung gegenüber westlichen Staaten, auch gegenüber den erklärten Feindstaaten des Gadafi-Regimes, zu dem lange Zeit auch die USA zählten. Wichtige Veränderungen könnten also vor allem von einem deutlichen Näherrücken des libyschen Staates an die westliche Welt kommen, was in der Folge zu stabilen Beziehungen zwischen Libyen und den NATO-Ländern führen könnte. Das würde für Libyen sowohl wirtschaftlich als auch politisch wesentliche Vorteile bedeuten, anders als die frühere Nähe des Gadafi-Regimes zu Russland. Stabile Beziehungen zum Westen könnten auch den Tourismus in Libyen als wesentliche Einnahmequelle für die Zukunft stark fördern.

Während des Gadafi-Regimes gab es innerhalb des Landes so gut wie keinen Tourismus, hauptsächlich wegen der politisch isolierten Lage Libyens in der Welt. In Anbetracht der vielen touristisch nutzbaren Orte im Land, wichtiger Kulturstätten wie Leptis Magna und vorgeschichtlicher Denkmäler wie die mesolithischen Felsmalereien, könnte der Tourismus in Libyen durchaus eine sehr hoch zu bewertende Einnahmequelle für die neue Regierung des Landes werden. Die angeschlagenen Staatsfinanzen, die am Jahresanfang des Jahres 2012 nahezu zu einem Staatsbankrott führten, machen die Erschließung neuer Einnahmequellen dringend nötig, darüber hinaus muss für die Zeit nach dem Versiegen der Ölquellen vorgesorgt werden, um zu diesem Zeitpunkt eine wirtschaftliche Stabilität gewährleisten zu können.

Das Prestige-Projekt der Gadafi-Regierung, die Förderung unterirdischer Süßwasser-Reserven einerseits zur Trinkwasserversorgung, andererseits als Bewässerung für landwirtschaftliche Projekte, kann nur mit enormen finanziellen Zuwendungen fortgeführt werden, stellt aber bislang die einzige wirklich realistische wirtschaftliche Sicherung des Landes für die Zeit nach dem Versiegen der Ölquellen dar. Investitionen westlicher Staaten und die Erschließung neuer potenzieller Einkommensquellen könnten aber ausreichen, um die Fertigstellung von Gadafis GMMR-Projekt zu erreichen. Vieles hängt also zukünftig davon ab, wie sich die neue libysche Regierung in die globalisierte Welt einfügt – die ersten Schritte zu einer Öffnung, auch gegenüber dem Westen hin, sind bereits getan. Nun hängt alles davon ab, welcher Weg in Zukunft eingeschlagen wird.

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