Globalisierung in Belgien

Das kleine, mitten in Europa gelegene Königreich Belgien ist vielleicht nicht ganz zu Unrecht Sitz der Europäischen Union – es bringt viel mehr als andere Staaten Voraussetzungen mit, die es geradezu dazu prädestinieren. Seine strategisch günstige Lage mitten in Europa und seine lange Tradition als innereuropäisches Handelszentrums sprechen einerseits für Belgien, andererseits weist das Land aber auch vielen Untersuchungen zufolge einen der höchsten Globalisierungsindizes der Welt auf, und ist selbst auch ein aus sehr unterschiedlichen Völkern – hauptsächlich den Flamen und den Wallonen – gebildeter Staat, die schon seit langem eine relativ tragfähigen Weg des Zusammenlebens gefunden haben, wenn es auch immer wieder zu Konflikten und Sezessionstendenzen kommt. Darüber hinaus setzt sich das Land schon bereits seit Jahrzehnten massiv für eine europäische Einheit ein. Belgien ist also möglicherweise nicht so ganz von ungefähr Sitz – und Symbol – der EU geworden.

Hoher Globalisierungsindex im Land

Viele Untersuchungen haben Belgien immer wieder einen der höchsten Globalisierungsindizes der Welt zugeordnet. Der Globalisierungsindex ist ein Zahlenwert, der sich aus insgesamt 24 Variablen errechnet, die die soziale, die politische und die wirtschaftliche Dimension der Globalisierung im Land angeben. Einfluss auf diese Werte nehmen Faktoren wie ausländische Direktinvestitionen, aber auch die Zahl ansässiger Ausländer oder die Zahl der Mc-Donalds-Filialen pro Tausend Einwohner. Nachdem die Berechnung für alle Staaten der Welt nach dem gleichen Muster erfolgt, liefert sie zumindest einigermaßen brauchbare Vergleichswerte. Vor allem politisch und wirtschaftlich ist Belgien immer wieder im Spitzenfeld der am meisten globalisierten Länder zu finden, wirtschaftlich fast immer unter den ersten fünf. Das hängt nicht unerheblich damit zusammen, dass Belgien auch schon eine jahrhundertelange Tradition als besonders weltoffenes, handels- und verkehrsintensives Land hat, in dem schon seit langer Zeit verschiedene Völker friedlich zusammenleben. Zudem hat sich Belgien immer schon bemüht, aus eigenen Erfahrungen heraus die Globalisierung auch möglichst zu fördern.

Belgiens tragende Rolle bei der Förderung der Globalisierung und eines geeinten Europa

Belgiens Regierung – und auch das Königshaus – waren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vehemente Verfechter eines gemeinsamen, geeinten Europa. Die schon in den letzten Jahrhunderten betriebene Öffnungspolitik gegenüber europäischen Nachbarn wurde unter dem Eindruck des Schreckens zweier blutiger Weltkriege in Europa als noch viel wichtiger erachtet, auch für die Schaffung von Frieden und Stabilität in Europa. Hinter vielen Meilensteinen auf dem Weg zur europäischen Einheit kann vor allem Belgien als treibende Kraft angesehen werden: Belgien gehört zu den Gründungsmitgliedern der EU, aber bereits auch aller ihrer Vorläufer, wie der EWG nach dem Krieg, war aber auch eines der Länder das sich am vehementesten für die Währungsunion und die Schaffung der GASP, der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU einsetzte. Als unter der Ratspräsidentschaft Belgiens 2001 die gemeinsame EU-Verfassung zu scheitern drohte, setzte sich Belgien in den darauffolgenden Jahren massiv für eine Bewahrung der Inhalte dieser gemeinsamen Verfassung ein, und erreichte damit, dass 2007 der Vertrag von Lissabon gemeinsam unterzeichnet wurde. Der Zusammenhalt und das möglichst weitere Zusammenwachsen der EU sind auch weiterhin die Bestrebung aller belgischen Regierungen.

Der Flämisch-Wallonische Konflikt in Belgien als mögliche Gegenkraft zur Globalisierung

Belgien ist ein Land, das sich vor allem aus zwei Volksgruppen, den französischsprachigen Wallonen und den niederländischen Flamen zusammensetzt, daneben noch aus einer beachtlichen Zahl von Minderheiten, von denen die deutschsprachige Minderheit mit rund einem Prozent der Gesamtbevölkerung den bedeutendsten Anteil einnimmt. Die Flamen stellen dabei ungefähr 60 Prozent der belgischen Bevölkerung, die Wallonen rund 40 Prozent. Die Einteilung Belgiens erfolgt demgemäß in drei auch geographisch getrennte Gebiete, das flämische, das wallonische und das kleine deutschsprachige Gebiet. Zwischen Flamen und Wallonen kommt es immer wieder zu Konflikten, die innerhalb der letzten Jahre deutlich zunehmen. Hintergrund sind vor allem wirtschaftliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, wobei die Wallonen zum größten Teil den deutlich ärmeren Teil der Bevölkerung stellen, und von vielen Flamen eher mit Geringschätzung betrachtet werden. Ganz wesentlich für die Zunahme des Konflikts sind vor allem die Wahlerfolge der flämischen Parteien, die sich massiv für eine Abspaltung des flämischen Landesteils und dessen Unabhängigkeit einsetzen.

Als besonderer Streitpunkt wird auch immer die Hauptstadt Brüssel angesehen, die zwar auf flämisch verwalteten Gebiet liegt, im Stadtbereich aber fast ausschließlich französischsprachig ist. Die sprachliche Trennung zwischen Stadtinnerem und Umland führt hier oft zu Problemen und auch zu Spannungen. Eine Spaltung Belgiens gilt aber – trotz aller politischen Interventionen der flämisch-separatistischen Parteien – als wenig wahrscheinlich, vor allem wegen der praktischen Undurchführbarkeit und wegen des gemeinsamen Königshauses. Die politischen Spannungen zwischen den flämischen und französischen Parteien haben im Wahljahr 2010 aber dazu geführt, dass nach der Wahl 540 Tage und zahlreiche Vermittlungsversuche des Königs nötig waren, um eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Politisch stellt der flämisch-wallonische Konflikt für Belgien also durchaus ein nicht zu unterschätzendes Problem dar. Schon seit langer Zeit verfolgt Belgien insgesamt eine starke Föderalisierung der Gebiete, die sowohl dem flämischen als auch dem wallonischen Teil hohe Selbständigkeit einräumt – beide Landesteile können einzeln sogar internationale Verträge schließen. Den Separationsbemühungen einzelner Parteien hat das aber kaum Abbruch getan.

2012 wurde im Parlament eine Staatsreform beschlossen, die den sich immer weiter zuspitzenden Konflikt möglichst entschärfen soll. Von vielen wird der flamisch-wallonische Konflikt auch als eine Art Gegenkraft zu den Globalisierungsbestrebungen des Landes gesehen – auf Vereinigung zielende Kräfte und separatistische Kräfte halten sich nach Ansicht vieler innerhalb der meisten Systeme die Waage. Inwieweit diese Sichtweise allgemein zutrifft, ist allerdings nur schwer schlüssig belegbar – es gibt sowohl gleich viele stichhaltige Argumente dafür wie auch dagegen.

Die Migranten- und Einwanderungspolitik Belgiens

Mit rund 25% der Gesamtbevölkerung, davon rund die Hälfte Europäer, hat Belgien einen vergleichsweise hohen Ausländeranteil. Die Bedingungen für die Erlangung der belgischen Staatsbürgerschaft sind im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern relativ locker, was zu einer hohen Einbürgerungsquote im Land führt. Den weitaus größten Anteil der Migranten im Land stellen die Marokkaner mit rund einer halben Million Menschen, den zweitgrößten Anteil die Türken. Aufgrund der liberalen Einbürgerungspolitik Belgiens wurden in beiden Gruppen beinahe 90% der Migranten eingebürgert. Auch das ist im EU-Vergleich ein sehr hoher Wert. Traditionell ist in Belgien auch der sehr tolerante Umgang mit Fahrenden, die in Belgien im Allgemeinen Wohnwagen-Bewohner genannt werden: Voyageurs oder Woonwagenbewoners. Neben den Jenischen, die den Hauptteil der Fahrenden in Belgien ausmachen, finden sich auch Roma und viele Migranten unter den Wohnwagenbewohnern in Belgien.

Eine tragende Rolle kommt Belgien und vielen belgischen Organisationen vor allem im Bereich der Antidiskriminierung der fahrenden Gruppen zu, hier werden viele Maßnahmen erarbeitet, die vor allem zu einer besseren Integration der fahrenden Völker in die europaweite Gesellschaft führen sollen, und Diskriminierung verhindern sollen. Belgien ist einer der wenigen Staaten, der dafür plädiert, das Recht auf eine eigene „Lebensweise“ der Fahrenden anzuerkennen. Insgesamt gesehen erweist sich Belgien also als tatsächlich stark globalisiertes Land in vielerlei Hinsicht. Der respektvolle Umgang mit dem eigenen Nationalitätenkonflikt zwischen Flamen und Wallonen, das Engagement hinter einer wirklichen europäischen Einigung und die Toleranz gegenüber Migranten und fahrenden Volksgruppen sind deutliche Zeichen dafür, dass die Globalisierung in Belgien schon lange tatsächlich angekommen ist. Nicht allein als Sitz der EU, sondern vor allem als ein Land mit vielen weitreichenden positiven Entwicklungen im Bereich der Globalisierung und seinem Engagement bei der Internationalisierung kann Belgien in jedem Fall als Vorbild für die europäischen Nationen angesehen werden.

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