Globalisierung im Alltag
Wenn von Globalisierung die Rede ist, könnte man den Eindruck haben, als handelte es sich hier um Dinge und Phänomene, die sehr fern sind, und die nichts mit unserem Alltag zu tun haben. Das Gegenteil ist der Fall. Globalisierung ist kein abstrakter Vorgang, der sich irgendwo in der großen, weiten Welt abspielt – die Globalisierung mit all ihren Auswirkungen und Zusammenhängen begegnet uns ständig und überall in unserem täglichen Leben. Nehmen wir also die Spur der Globalisierung im Alltag auf und begeben uns auf einen kleinen Streifzug.
Einkaufen in aller Welt – gleich um die Ecke
Die erste Station ist der Supermarkt gleich um die Ecke, der frisches Obst und Gemüse in Hülle und Fülle im Angebot hat. Zu allen Jahreszeiten ist die Vielfalt groß, alle Preisklassen sind vertreten und es versteht sich von selbst, dass die meisten der angebotenen Sorten nicht auf den Bäumen in Nachbars Garten oder auf den Feldern lokaler Bauern wachsen, sondern aus aller Welt importiert werden: Avocados und Äpfel aus Neuseeland, Orangen aus Israel, spanische Clementinen und mexikanische Grapefruit, Kumquat, Mango, Papaya oder Ananas, Afrika, Asien, Lateinamerika, es gibt nichts, was es nicht gibt. Oftmals haben wir sogar Früchte in der Hand von denen wir nicht einmal wissen, wie man sie verspeist oder zubereitet – geschält oder ganz, püriert, roh oder gekocht?
Auch einheimische Früchte, die früher jahreszeitlich „Saison“ hatten, gibt es jetzt das ganz Jahr über: Erdbeeren, Trauben, Birnen oder Äpfel, irgendwo ist immer Saison und moderne, weltumspannende Logistik sorgt dafür, dass die Waren immer frisch in den Regalen des Supermarkts und auf unserem Tisch landen. Wenn das Etikett mit dem Zusatz „Bio“ versehen ist, ist die Ware ein wenig teurer, aber der Kunde kann davon ausgehen, dass die Frucht, die er in der Hand hält, nach geltenden Bio-Richtlinien angebaut worden ist – da scheint es keine Rolle zu spielen, das sie auf dem Weg zum Endverbraucher tausende von Kilometern in Flugzeugen oder LKWs zurückgelegt hat.
Jederzeit, immer und überall und vor allem preiswert
Die große, immer verfügbare Vielfalt ist für uns so selbstverständlich geworden, dass wir uns nur selten Gedanken darüber machen, wo und unter welchen Umständen Gemüse und Obst produziert werden. Als vor einiger Zeit in unterschiedlichen Schulen, Betrieben und Kindertagesstätten, Menschen an einer äußerst unangenehmen Darminfektion erkrankten, fiel der Verdacht sehr schnell auf das in den Kantinen angebotene Essen, das von einem gemeinsamen Caterer geliefert wurde. Ein wenig länger dauerte es, bis klar war, woher genau der Erreger stammte.
Des Rätsels Lösung fand sich dann in den Erdbeeren, die aus China importiert worden waren. Das Erstaunen war groß: Erdbeeren im Winter? Aus China? Viele Menschen hörten jetzt zum ersten Mal davon, dass China der weltgrößte Erdbeerproduzent ist. Warum, so fragte sich der eine oder andere, wird im Winter in einer Kantine Erdbeerkompott zum Nachtisch angeboten statt Apfelbrei, der in dieser Jahreszeit in unseren Breiten sehr viel naheliegender wäre? Die Antwort ist einfach: Für Großküchen ist es offensichtlich billiger, Erdbeeren aus China zu importieren als Äpfel auf dem heimischen Markt zu kaufen.
Die Lebensmittelindustrie ist nur ein Beispiel für ein Phänomen, das sich quer durch alle Produkt- und Warenbereiche beschreiben lässt. Das Auto, das wir fahren, wird möglicherweise in Bochum, München oder Stuttgart endmontiert – die Komponenten, aus denen es besteht, können jedoch von Zulieferern aus der ganzen Welt stammen: Polen, Südkorea, Rumänien oder auf den Philippinen. Produziert wird immer da, wo es am schnellsten und vor allem am billigsten geht.
Trendige Mode-Ketten und Möbelhäuser produzieren ihre Waren in Billiglohnländern. Die topmodischen T-Shirts, die bei uns im Kleiderschrank liegen, werden in China, Pakistan oder Indien hergestellt. Das Holz für die preiswerten Möbel, mit denen wir das Kinderzimmer einrichten, kommt aus Indonesien oder Südamerika, konstruiert werden die Möbelteile in Tschechien oder Rumänien. Nicht immer ist es einfach und eindeutig zu entscheiden, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlieren der Globalisierung gehört.
Globalisierung im Alltag – alles Standard
Wenn Menschen und Staaten immer enger miteinander verbunden sind, bedeutet das auch, dass Abläufe und Prozeduren immer besser aufeinander abgestimmt werden müssen. Ob es sich um Steckdosen, Glühbirnen oder Produkte der Unterhaltungselektronik handelt – Konsumenten und Verbraucher wollen sich darauf verlassen können, dass das Produkt, das sie in Madrid erwerben, auch in Frankfurt funktioniert.
Einheitliche Qualitätsrichtlinien und verlässliche Informationen für Verbraucher sind hierbei ein wichtiges Anliegen. Dazu gehört z.B., dass Gebrauchsanleitungen grundsätzlich mehrsprachig sein müssen. Eine wichtige Aufgabe der europäischen Kommission besteht darin, einheitliche Standards zu definieren, die in allen europäischen Ländern gelten. Im Rahmen eines Projektes wurden z.B. in den vergangenen Jahren über 44.000 gesundheitsrelevante Werbeaussagen aus allen europäischen Ländern geprüft und dabei festgelegt, welche Angaben notwendig sind, damit ein Produkt von sich behaupten darf, dass es „gesund“ ist.
Nicht nur der Warenfluss, insbesondere auch der Zahlungsverkehr muss in einer globalen Welt reibungslos und schnell funktionieren. Für die europäische Gemeinschaft war die gemeinsame Währung Euro nur der erste Schritt. Überweisungen und Lastschriftverfahren sind in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt länderübergreifend vereinheitlicht worden. IBAN, BIC, SEPA – das sind Abkürzungen, mit denen Bankkunden in den letzten Jahren Bekanntschaft gemacht haben.
Globalisierung im Alltag – Lernen und Studieren rund um die Welt
Wirtschaft, Handel, Personen-, Waren- und Zahlungsverkehr sind Teil globaler Entwicklungen und Prozesse – das ist einigermaßen naheliegend. Aber die Spur der Globalisierung im Alltag lässt sich auch in Erziehung und Bildung verfolgen. Vor nicht allzu langer Zeit war es das Höchste, wenn Schüler während ihrer Schulzeit eine Klassenfahrt ins Mittelgebirge unternahm und im Sommer, bei ein wenig fortgeschrittenen Kenntnissen, für vier Wochen zum Sprachunterricht nach England oder Frankreich fuhren.
Die Globalisierung im Alltag hat hier ganz neue Möglichkeiten eröffnet und prägt bereits bei Kindergartenkindern das tägliche Leben. Schon mit drei oder vier Jahren werden erste Englischkurse besucht, weil Eltern bemüht sind, ihr Kinder auf die ständig steigenden Anforderungen einer immer komplexeren Welt möglichst früh vorzubereiten. Im Kindergarten und in den Schulen lernen deutsche Kinder gemeinsam mit türkischen, russischen oder japanischen. Rund ein Fünftel der Menschen, die in Deutschland leben, haben einen Migrationshintergrund, stammen aus unterschiedlichen Ländern und leben in der zweiten oder dritten Generation hier in Deutschland. Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen leben und lernen miteinander. Das bedeutet, das wir neue Sichtweisen und Sprachen kennen lernen. Von einem produktiven Miteinander können alle profitieren, aber auch kulturelle Unterschiede werden immer weiter eingeebnet.
Auch Erzieher und Lehrer müssen sich auf veränderte Anforderungen einstellen, das Bildungssystem so ausgerichtet werden, dass es Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen Sprachen- und Kulturkreisen gleiche Bildungschancen und Berufsmöglichkeiten eröffnet.
Globalisierung im Alltag – Immer in Bewegung
Globalisierung im Alltag bedeutet auch für Schule und Bildung: Die Welt ist in Bewegung gekommen. Bereits Schüler sind immer unterwegs. Schüleraustausch, Projektarbeiten, Partnerschulen im fernen Ausland. Kein Ort der Welt ist weit genug entfernt oder exotisch genug: Chinesische Austauschschüler sind zu Gast in einer Schule in Rheinhessen, eine Klasse aus Hamburg reist zu Studienzwecken nach Japan; Sprachkurse in England, Frankreich oder Italien sind selbstverständlich. Und für Studenten liegen die USA, Südamerika oder Südafrika praktisch um die Ecke. Vielleicht wäre auch im globalen Alltag weniger manchmal mehr.
Globalisierung im Alltag – Die ganze Welt im Netz
Antriebsmotor und gleichzeitig wichtigster Treff- und Knotenpunkt in einer globalen Welt ist das Internet. Am PC, per Handy oder iPad haben wir rund um die Uhr Zugriff auf alles, was sich in der Welt tut. Die ganze Welt ist online. Egal, wo und wann – alle sind immer erreichbar, alles, was geschieht können wir zeitgleich in Wort und Bild per Liveticker, bei Twitter oder Facebook nachvollziehen und diskutieren. Das Konzert unserer Lieblingsband, das gestern in Toronto stattgefunden hat, können wir heute schon per Livemitschnitt in Youtube anschauen. Die Opernpremiere an der Met in New York wird im Kino nebenan live auf einer Großbildleinwand übertragen. Für die Generation Internet hat die Welt kaum noch Grenzen.
Schlichte Tatsachen
Wie wir es auch drehen und wenden, die Frage lautet nicht mehr, ob wir in einer globalisierten Welt leben, sondern: Wie gehen wir damit um, welche Spielräume haben wir und welche Entscheidungen können wir überhaupt für uns selber und in unserem alltäglichen Verantwortungsbereich treffen? Globalisierung im Alltag ist nicht die Zukunft, sondern bereits die Gegenwart. Es liegt an uns selbst, wie aktiv wir damit umgehen. Offene, aber auch kritische Auseinandersetzung mit globalen Entwicklungen ist dabei eine wichtige Voraussetzung. Durch Globalisierung im Alltag werden die Dinge nicht immer einfacher, aber sie bleiben spannend.