Globalisierung in Liechtenstein

Das Fürstentum Liechtenstein zählt mit einer Ausdehnung von 160 km² zu den kleinsten Staaten Europas und verfügt mit einem Bruttoinlandsprodukt von 3,2 Milliarden Euro (Stand 2010) über eine prosperierende Binnenwirtschaft. Die Warenexportquote beträgt knapp siebzig Prozent und übersteigt den europäischen Durchschnittswert der EU-15-Länder um mehr als das Doppelte. Der Hauptteil der Exportwaren geht nach Deutschland und Österreich, im außereuropäischen Rahmen in die USA und nach China. Mit dem Nachbarland Schweiz besteht ein einheitliches Währungs- und Zollgebiet, dessen Warenhandelswerte in den offiziellen Exportstatistiken Liechtensteins jedoch nicht erfasst werden. Den größten Stellenwert in der ökonomischen Struktur des Fürstentums nimmt der Dienstleistungssektor ein, in dem rund drei Fünftel der Beschäftigten tätig sind. Das produzierende Gewerbe stellt knapp vierzig Prozent der Arbeitsplätze im Land. Weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung arbeitet in der Landwirtschaftsbranche, die jedoch mit 16 050 ha rund ein Viertel der Landesfläche beansprucht. Die Mehrzahl der Betriebe ist dem Mittelstand zuzuordnen und beschäftigt weniger als fünfzig Arbeitnehmer.

Besonderheiten des Fürstentums

Ein Charakteristikum des Fürstentums Liechtenstein stellt seine kleinstaatliche Struktur dar, die ihren Ausdruck in der geringen Bevölkerungszahl und vergleichsweise kleinen Staatsfläche findet. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen müssen aus diesem Grund stets auf eine mikrostaatliche Ebene heruntergebrochen und entsprechend bewertet werden. Die Stellung Liechtensteins im „Global Village“ ist von den Faktoren der Kleinstaatlichkeit abhängig und stehen in krassem Widerspruch zur international vernetzten Ökonomie, zu der das Fürstentum gehört. Spezifische Nachteile kleinstaatlicher Volkswirtschaften wie geringes Pro-Kopf-Einkommen und sinkender Wohlstand können für das Fürstentum Liechtenstein allerdings nicht ausgemacht werden. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf belegt Liechtenstein den vordersten Platz in der weltweiten Rangliste der Länder und zählt somit zu den reichsten Staaten der Erde. Dieser Rechnung muss allerdings entgegengehalten werden, dass eine einheitliche Vergleichsposition bedingt durch schwankende Wechselkurse kaum gewährleistet werden kann und die genannte Ranglistenposition weniger eine feste Größe als mehr einen langfristigen Trend darstellt.

Andere wirtschaftliche Basisgrößen wie die Entwicklung des Binnenmarktes sind geeigneter, um die Position Liechtensteins im Gefüge des globalisierten Welthandels herauszustellen. Historisch gesehen besaß das Fürstentum bereits seit Langem eine auf den Außenhandel spezialisierte Wirtschaftsstruktur, die von den Herausforderungen und Folgen der Globalisierung eher gestärkt als geschwächt wurde. Zwar nahm die Bedeutung der Binnenwirtschaft in den letzten Dekaden kontinuierlich ab, wodurch Unternehmen, die sich ausschließlich auf den Handel im Inland konzentriert hatten, in Turbulenzen gerieten, doch das gesteigerte Exportvolumen und die gestärkte Position im Weltmarkt konnten diese ökonomischen Verwerfungen wirkungsvoll auffangen.

Wirtschaftliche Integration als Globalisierungsfaktor

Schon früh begann das Fürstentum Liechtenstein, sich an europäischen und transnationalen Wirtschaftsbündnissen zu beteiligen, um die eigene Handelskraft zu stärken und zu konsolidieren. Von großer Bedeutung für den nachbarschaftlichen Warenverkehr ist unter diesem Gesichtspunkt die Zollunion mit der Schweiz, die bereits seit 1924 besteht. Sie stellt ein juristisches Unikum für beide Länder dar, indem sie Liechtenstein an das Zollgebiet der Schweiz anschließt, statt – wie der Name vermuten lässt – eine Union mit dem Alpenland eingehen lässt. Die Zollunion wurde um verschiedene bilaterale Abkommen erweitert, die 1980 in einem Währungsvertrag und der Einführung des Schweizer Franken als Zahlungsmittel mündeten.

In jüngster Vergangenheit war das Fürstentum jedoch bestrebt, die gegenseitige Abhängigkeit zu vermindern, wodurch der Zollvertrag zahlreiche Anpassungen erfahren hat. Auf europäischer Bühne spielt die Mitgliedschaft Liechtensteins im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des Fürstentums. Zum EWR gehören neben den Ländern Liechtenstein, Island und Norwegen fünfundzwanzig weitere Staaten, die das Hauptabkommen unterzeichnet und sich zur schrittweisen Ratifizierung verpflichtet haben. Bei der Umsetzungsquote erreicht Liechtenstein inzwischen einen Wert von 97,9%. Das EWR-Abkommen sieht eine gemeinsame europäische Handelszone vor, in der sämtliche Mitgliedsstaaten unter gleichen Regelungen, Grundfreiheiten und einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik in wirtschaftliche Beziehungen treten.Die nationale Souveränität der teilnehmenden Staaten ist durch so genannte horizontale und flankierende Bestimmungen gewahrt, die im Fall von Liechtenstein beispielsweise die Migrationsgesetzgebung für den Wohnortwechsel von EWR-Einwohnern in das Fürstentum regeln. Einem unkontrollierten Zuzug wollte Liechtenstein mit diesen Sondervereinbarungen entgegentreten. Die Zustimmung für die Teilnahme am EWR war an zwei Volksabstimmungen in den Jahren 1992 und 1995 gebunden, bei denen jeweils mit knapper Mehrheit für die Unterzeichnung des Vertrags votiert wurde. Die EWR-Mitgliedschaft besitzt für Liechtenstein einen besonderen Stellenwert, nachdem 63% des Export-Handels in EU-Staaten abgewickelt werden.

Als Vorläufer der EWR-Mitgliedschaft Liechtensteins kann die Gründung der European Free Trade Association (EFTA) gesehen werden, die 1960 als Antwort auf die Europäische Gemeinschaft (EG) der Länder Dänemark, Großbritannien, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und der Schweiz geschaffen wurde. Die EFTA-Administration unterliegt der Ständigen Mission Liechtensteins, die in Genf beheimatet ist, arbeitet jedoch inzwischen eng mit den EWR-Gremien zusammen. Hintergrund für das Engagement bei der EFTA waren Bestimmungen des Zollvertrags mit der Schweiz, die Liechtenstein indirekt mit der EFTA und dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EG verbanden. Als Vollmitglied trat das Fürstentum erst im Jahr 1991 der EFTA bei, um nationale Interessen bei der Umsetzung des EWR zu verteidigen. Im Jahr 2002 erfuhr die EFTA mit der Nachfolge der Vaduzer Konvention auf die Stockholmer Konvention eine noch stärkere europäische Integration. Sie besitzt gegenwärtig die weltweit größte Verknüpfung von gleichberechtigten Freihandelspartnern, zu denen neben den 25 EU-Mitgliedsländern zwanzig weitere Partnerstaaten gehören – unter anderem die Republik Korea, die zu den zehn größten Volkswirtschaften gerechnet wird. Die EFTA erschließt ihren Mitgliedern einen Markt mit über 850 Millionen Verbrauchern.

Spezialisierte Binnenwirtschaft und globalisierte Wirtschaftszweige

Als Erfolgsgarant für die wirtschaftliche Bedeutung Liechtensteins im Welthandel kann neben der Integration in europäische und internationale Handelsabkommen die stark spezialisierte Binnenwirtschaft des Fürstentums gesehen werden. Ursprünglich aus Zwängen des kleinen Staatsgebiets und der geringen Rohstoffvorräte entstanden, erweisen sich bestimmte wirtschaftliche Verflechtungen unter den Bedingungen der Globalisierung als äußerst erfolgreich. Ökonomische Prosperität durch Massenproduktion oder Ressourcenverarbeitung erreicht Kleinstländern wie das Fürstentum Liechtenstein lediglich unter erheblichen Anstrengungen. Sie bilden daher häufig spezialisierte Wirtschaftsstrukturen heraus, die Nischen bedienen und Spezialdienstleistungen anbieten. Die Konzentration Liechtensteins auf Finanzdienstleistungen belegt, dass in rohstoffarmen und auf den Dienstleistungssektor konzentrierten Volkswirtschaften besonders Branchen mit geringem Bedarf an einem eigenen starken Binnenmarkt gedeihen.

Ein Viertel der gesamten in Liechtenstein erreichten Wertschöpfung entfällt auf den Finanzbereich, was eine exorbitante Steigerung des Nettovermögens inländischer Investmentunternehmen zur Folge hatte. Allein zwischen den Jahren 2000 und 2011 haben sich die Unternehmensvermögen um beinahe dreißig Milliarden Schweizer Franken erhöht. Politischer Druck aus anderen europäischen Staaten – darunter federführend Deutschland – hat zu einer Aufweichung des einst strengen Bankgeheimnisses geführt, sodass sich der Finanzsektor inzwischen in einem tief greifenden Strukturwandel befindet. In einem Doppelbesteuerungsabkommen haben Deutschland und Liechtenstein im Jahr 2012 beschlossen, die wirtschaftlichen Beziehungen zu vertiefen und Vertrauen für zukünftige Investitionen zu schaffen.

Die Gefahr von spezialisierten Wirtschaftszweigen liegt für Kleinstaaten wie dem Fürstentum Liechtenstein im raschen Wandel der Weltwirtschaft, die angestammte Branchen im Zuge von Digitalisierung und Globalisierung quasi über Nacht ihrer Existenzgrundlage beraubt. Exemplarisch seien die Entwicklung der Informationstechnologie und gesunkene Transportkosten für immaterielle Güter genannt, die zu Einschränkungen für den Medien- und Handelsbetrieb geführt haben. Doch auch produzierende Gewerbebetriebe sind von den Entwicklungen des Weltmarktes nicht ausgenommen, wenn Produkte an ausländischen Standorten günstiger und effektiver hergestellt werden können. Das Fürstentum Liechtenstein steht daher vor der Herausforderung, zukünftig flexibel auf Marktentwicklungen zu reagieren, ohne die Nachhaltigkeit des eigenen ökonomischen Binnensystems zu gefährden. Die spezialisierte Wirtschaft, auf die sich der Wohlstand des Fürstentums gegenwärtig gründet, muss in der Lage sein, kurzfristig auf Veränderungen des globalisierten Wirtschaftsmarktes einzugehen und sich mit der gebotenen Schnelligkeit daran anzupassen.

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